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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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in seiner Grundschulklasse hat und deshalb meist allein in einer Ecke am Zaun steht und dort seine Brote isst.
    »Kein Wunder«, sagt sein Vater oft, »bei all den Türken.« Dann nickt Darius und fragt sich, warum er keine andere Grundschule besuchen darf.
    Nach einer Weile wartet er täglich darauf, dass Hakan etwas zu ihm sagt, und schließlich fasst er sich ein Herz und spricht ihn selbst an.
    Hakan reagiert weder unfreundlich noch abweisend. Zu Darius’ Überraschung nimmt er das Gespräch nicht nur auf, sondern erwähnt auch einen Fußballverein, in dem er seit Kurzem Mitglied ist. Er schlägt vor, Darius möge doch mal mit zum Probetraining kommen.
    »Kein türkischer Verein«, sagt Hakan, »ein ganz normaler.«
    Dann beginnt die Fußballeuropameisterschaft.
    Wenn Hakan jetzt zur Schule kommt, trägt er ein Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Niemand sonst an der Schule, die überwiegend von türkischen Schülern besucht wird, trägt ein solches Trikot.
    Darius ist erstaunt. Er bewundert Hakan, obwohl er selber nie den Wunsch verspürt hat, ein Trikot zu tragen, egal von welcher Mannschaft.
    Am dritten Tag verstellen Emre und ein Freun d – nicht der Cousin, sondern ein deutlich durchtrainierterer Jung e – Hakan auf dem Schulhof den Weg. Beide besuchen die Parallelklasse von Darius, sind aber ein Jahr älter.
    »Warum trägst du das?«, fragt Emre.
    Und Hakan erwidert: »Hat mir meine Mutter geschenkt. Als Deutschland gewonnen hat.«
    »So?« Emre kratzt sich. »Deine Mutter? Die is’ Deutsche?«
    »Ja«, sagt Hakan leichthin, zuckt die Schultern und nickt. Aber Darius kann die Anspannung spüren, unter der er steht.
    »Und dein Vater?«, fragt der Freund verblüfft.
    »Geht dich nichts an«, erwidert Hakan, unerwartet scharf, fast böse.
    »Zieh das aus«, sagt Emre.
    Hakan weicht zurück und schüttelt den Kopf.
    Dabei verschränkt er die Arme und presst sie gegen Körper und Trikot. Darius, der in einiger Entfernung wartet, geht einen ersten Schritt auf die Gruppe zu.
    Emre und dessen Freund packen Hakan am Trikot und zerren ihn zu einer Tonne mit abgestandenem Regenwasser, modderig und voller Müll und Algen. Sie heben Hakan hoch und wollen ihn samt Trikot in die Tonne stecken.
    Mit weiteren vier oder fünf Schritten ist Darius bei Emre und dessen durchtrainiertem Freund. Ohne zu überlegen, greift er Emre von hinten in die Haare und zieht ihn von der Tonne weg. Derweil entwindet sich Hakan dem Griff des kräftigen Freundes. Dann klingelt es zur Stunde und die Schüler müssen hoch in ihre Klassen gehen. Am Eingang sagt Emre zu Hakan: »Morgen kriege ich dich. Istiyorum! Weil ich dich kriegen will.«
    Am nächsten Tag trägt Hakan kein deutsches Trikot, sondern ein dunkelblaues T-Shirt mit hochgeschlossenem Kragen. Darius spürt eine leise Enttäuschung, er hat insgeheim gehofft, Hakan werde sich Emre und dessen Freund nicht beugen.
    Es ist warm. In der ersten großen Pause stellt sich Hakan, der sich bei Darius bedankt hat, ihn am folgenden Morgen aber nicht mehr zu beachten scheint, in die Nähe der Tonne und wartet auf Emre, der sich Zeit lässt.
    Nicht weit entfernt von der Regentonne beobachtet Darius, was weiter geschieht. Noch immer scheint Hakan ihn zu ignorieren.
    Stolz wirkt er, denkt Darius. Weder ängstlich noch bedrückt, sondern stolz und verschlossen.
    Als Emre aus dem Gebäude tritt, bleibt er, ganz Chef, im Schatten des Schulgebäudes stehen. Noch läuft er die wenigen Stufen zum Hof nicht hinunter, sondern schaut sich um. Kaum dass er Hakan bemerkt, geht über sein Gesicht ein Lächel n – ein Lächeln, das Hakan erwidert.
    Irritiert reckt Emre den Hals, als könne er so erkennen, was Hakan vorhat. Dann springt er die Stufen zum Hof hastig hinab.
    Als Emre genügend nah ist, zieht Hakan das dunkelblaue T-Shirt mit einer raschen Bewegung über den Kopf. Darunter trägt er ein Trikot der türkischen Nationalmannschaft. Auch das rote Trikot zieht er aus, darunter trägt er ein weißes, unscheinbares Unterhemd.
    Er knüllt das rote Trikot zusammen, hält es hoch, damit Emre es ein letztes Mal betrachten kann, und stopft es in die Tonne mit dem Sud aus Algen, altem Wasser und aufgeweichtem Müll.
    Emre entfährt ein Geräusch, das an das Zischen eines schnappenden Schwans erinnert. Hakan beschwert das Trikot mit einem Stein.
    Emre springt auf ihn zu und stößt dabei mehrere Schüler zur Seite. Unter dem Trikot perlen ein paar schaumige Blasen hervor. Dann versinkt es in dem dunklen

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