Blutsbrüder
auf der Plattform der langen Rutsche auf. Angenehm benommen von der Hitze betrachtet er Alina in ihrem grellgelben Bikini, die auf die Freigabe der Bahn, auf das Umspringen einer Ampel wartet. Mit leisem Bedauern stellt er einmal mehr fest, wie schlank sie ist und wie gut sie aussieht.
Gerade als er wieder hinüber zu Tomtom und Jan-Niklas schaut, drängt sich ein Junge hinter Alina, folgt ihr dichtauf, kaum dass sie sich oben abstößt und die Bahn hinuntergleitet.
Darius registriert Coras Verblüffung und erkennt in dem Jungen Emres jüngeren Bruder Ömer, der dicht hinter Alina in der gewundenen Röhre verschwindet.
Als sie nach Sekunden wieder auftaucht, hält sie beide Arme vor ihre Brüste gepresst, um das Oberteil ihres Bikinis nicht zu verlieren. Ohne Balance trudelt sie den Rest der Rutsche hinunter und Darius sieht, dass die dünnen Träger offenbar gerissen sind. Ebenso wie der Verschluss hängen sie lose herunter.
Ömer scheint seine Fahrt in der Röhre gestoppt zu haben, er bleibt unsichtbar, und erst als Cora gestartet ist, krabbelt er grinsend aus der Öffnung.
Darius läuft los, springt die Stufen der Galerie hinab. Aus dem Augenwinkel erkennt er, dass Alina, die ihren Bikini mit einer Hand an den Oberkörper drückt, am Ende der langen Rutsche wartet. Ömer, dem bewusst wird, dass er nicht ewig an der Öffnung der Röhre und mitten auf der Rutsche ausharren kann, nimmt auf der verbleibenden Bahn so viel Fahrt wie möglich auf, schießt mit großer Geschwindigkeit aufs Becken zu, vielleicht, um Alina zu überraschen und so an ihr vorbeizukommen, dabei offensichtlich erstaunt, dass sie dort auf ihn wartet.
Doch trotz des gerissenen Bikinioberteils fängt Alina den Jungen am Fuß der Rutsche ab. Packt ihn am Arm, stukt ihn unter und gibt ihm, als er auftaucht, eine schallende Ohrfeige, die selbst Darius, der das Becken längst nicht erreicht hat, im Lärm des Sommerbades hört.
Ömer ist zu verblüfft, um sich zu wehren. Er hält sich die Wange un d – Darius kann es kaum glaube n – heult, bevor er im beheizten Becken untertaucht.
Alina steigt aus dem Wasser und läuft über den Rasen langsam zu ihrer Decke, während Darius ihr folgt, froh, dass Hakan nicht da ist, der den Zwischenfall sicher nicht auf sich hätte beruhen lassen. Doch obwohl er erleichtert ist, kommt Darius sich feige vor, weil er nichts unternimmt. Ein Gefühl, das sich verstärkt, als er Alina wenig später das Badetuch über die Schultern legt. Nun erst murmelt sie, der Schreck ist ihrer Stimme anzuhören: »Hat mich begrapscht, das Arschloch. Was für eine fiese kleine Qualle.«
Entgegen Darius’ Erwartung ist am Nachmittag nichts mehr passiert. Vielleicht hat Ömer Emre erst später von dem Vorfall erzählt, vielleicht hat Emre eine bessere Gelegenheit abwarten wollen, einen günstigeren Ort als ein belebtes Freibad, in dem es nicht nur Bademeister, sondern auch einen Ordnungsdienst gibt: Männer mit mächtigen Oberarmen, die nicht selten tätowiert und meist keine Freunde der türkischen und arabischen Jugendlichen sind. Und vielleich t – Darius wäre gern von dem Gedanken überzeugt, aber seine Zweifel überwiege n – hat Emre eingesehen, dass Ömers Verhalten nicht zu entschuldigen ist. Wie auch immer, denkt Darius, Hauptsache, er taucht heute Abend nicht bei der Party auf.
Das Fest, Alinas, Coras und Marvins gemeinsame Geburtstagsfeier, soll in einem nahen Jugendzentrum stattfinden, das sonst vor allem von türkischen, seltener von arabischen Jugendlichen genutzt wird. Die Räume kosten kaum Miete. Deshalb haben Cora, Alina und Marvin sie ausgewählt.
Alina ist auf den Gedanken gekommen, von den verbleibenden neunzig Euro des Vorbereitungsgeldes Security zu miete n – »um jeden Ärger von vornherein auszuschließen, versteht ihr?«
Der erste Anruf ist ein Reinfall gewesen.
Alina, mit vor Aufregung feuchten Händen: »Wir wolle n … wei l … wege n …«
Ein jüngerer Mann am anderen Ende des Telefons: »Wie viel Kohle habt ihr?«
Alina, zögernd: »Neunzig Euro.«
Der Angerufene, nach einer Pause: »Dafür kriegt ihr bei uns noch nich’ ma’ ’n Pitbull, ey!«
Danach legt er auf.
Dann klappt es doch noch, weil Hakan jemanden kennt, der jemanden kennt, und tatsächlich sind die jungen türkischen und arabischen Männer, die in dem Jugendheim hin und wieder für wenig Geld arbeite n – am Getränkeausschank, bei der Aufsicht, beim Renoviere n –, hilfsbereit. Sie packen beim Aufbau der
Weitere Kostenlose Bücher