Blutschwestern
lassen.
Xiria kroch zurück auf ihr Strohlager und rollte sich zusammen. Das Wesen
Mutter
schien zufrieden zu sein, denn es sah sie noch einmal kurz an, dann ging es und kam nicht mit dem Stock zu ihr zurück. Xiria
schloss die Augen und wartete darauf, dass die Schmerzen aufhörten. Es dauerte manchmal lange, manchmal ging es schnell, doch
jedes Mal sah sie danach anders aus, wenn sie ihr Spiegelbild im Wasser der Schale betrachtete. Mit zitternden Fingern zog
sie auch dieses Mal die Schale zu sich heran und blickte hinein, als das Wasser sich beruhigt hatte.
»Xiria«, sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild, denn es war eines der wenigen Worte, die sie kannte.
Mutter
sprach nicht viel mit ihr; und doch war das Wesen
Mutter
alles, was Xiria kannte. Es war Xiria irgendwie ähnlich und doch vollkommen anders als sie. Xiria vermisste nichts, denn sie
kannte nur ihren Raum, den Strohhaufen, die Puppe und
Mutter
. Sie war nicht glücklich und nicht unglücklich darüber, denn Empfindungen, welche über die einfachen Bedürfnisse des Körpers
hinausgingen, waren ihr fremd. Xiria konnte Schmerzen empfinden, jedoch keine Trauer. Sie konnte essen und die Süße von Früchten
schmecken, doch dabei keinen Genuss empfinden. Xirias Welt war klein und einfach, sie verstand, dass sie lebte und gewisse
Dinge tun musste, um ihr Leben zu erhalten, welches – und das verstand sie besonders gut – von
Mutter
abhing. Xiria wollte leben, so wie jedes Lebewesen über einen angeborenen Instinkt verfügt, der ihn alles tun lässt, um am
Leben zu bleiben. Doch sie stellte keinerlei Anforderungen an das Leben selbst. Xiria war einfach da, ebenso wie das Wesen
Mutter
.
|269| Sie starrte in die Schale und wusste, dass sie sich wieder verändert hatte. Vor allem das Fleisch an ihrer Brust war gewachsen.
Auch
Mutter
hatte dieses Fleisch, doch sie veränderte sich nicht so wie Xiria. Xiria erkannte, dass auch ihr Gesicht sich verändert hatte,
ebenso ihre Arme und Beine. Größer war sie geworden und ihre gesamte Form runder. Nun sah sie
Mutter
noch ähnlicher, nur dass diese keine Dinger am Rücken hatte wie sie. Die Dinger waren nutzlos für Xirias Verständnis, und
doch waren sie es auch wieder nicht. Sie waren warm, wenn Xiria schlief, und taten damit ihrem Körper wohl.
Langsam ließen die Schmerzen nach. Xiria griff zu der Wasserschale, um gierig zu trinken. Durst hatte sie immer, wenn die
Schmerzen nachließen. Sie legte sich ins Stroh und stellte dann fest, dass es nicht mehr angenehm war, so zu liegen. Das Fleisch
an ihrer Brust war zu groß geworden. Ratlos setzte sie sich auf und versuchte zu knien, doch auch das fühlte sich nicht angenehm
an. Schließlich ging sie in die Hocke und empfand es als richtig, so als hätte sie schon immer in dieser Haltung geschlafen.
Sie reckte eines der Dinger an ihrem Rücken und steckte schließlich ihren Kopf darunter. Es fühlte sich gut an, und ein Instinkt
in Xiria sagte ihr, dass es so auch richtig war und viel besser als vorher.
|270| Degans Zorn
Degan spannte die Beinmuskeln an, setzte mit einem gekonnten Sprung über die Mauer des Gartens, wobei er einen Ast zur Hilfe
nahm, ihn mit einer Hand ergriff und schließlich auf der anderen Seite der Mauer federnd aufsetzte.
»Angeber!«, riefen ihm seine Freunde lachend von der anderen Seite der Mauer hinterher. »Wir sehen uns heute Abend auf dem
Fest!«
Degan rief ihnen ein
Belis nani
hinterher und lief dann mit großen Schritten durch den Garten. Sie nahmen ihm seine kleinen Kunststücke nicht übel, und darüber
war er froh. Es war schon etwas Besonderes, wenn man mit einem Sprung eine etwa mannshohe Mauer überwinden konnte. Zwar war
er groß und schlank, doch das waren ein paar seiner Kameraden auch; trotzdem gelang es ihnen nicht, Degans Sprünge nachzuahmen,
und er machte sich gerne einen Spaß daraus, sie immer wieder daran zu erinnern, indem er sie vor ihren Augen vollführte. Natürlich
war er dadurch auch im Zweikampf und bei den Waffenübungen im Vorteil. Er wich seinen Gegnern so geschickt und so schnell
aus, dass sie sich nur verwirrt umsehen konnten, wenn er auf einmal hinter ihnen stand. Degan wusste nicht, weshalb er so
viel schneller und geschickter war als die anderen, aber zumindest dieser Teil seiner Andersartigkeit gefiel ihm; wenn es
nicht diese anderen Dinge gegeben hätte, wäre er wohl ein zufriedener junger Mann gewesen.
Degan verdrängte die aufkommenden
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