Blutschwestern
steht er jetzt schon dort draußen?«, zischte Lin den beiden zu.
»Seit dem Mittag, Hohepriesterin. Er wird sich einen ordentlichen Sonnenbrand zuziehen.« Das Mädchen sagte es nicht ohne Genugtuung.
Tojar hatte sich nicht erweichen lassen und befohlen, die Verbindung Lins mit Braam in den Straßen Engils zu verkünden. Lin
weigerte sich jedoch trotzdem, mit Braam zu sprechen, und ging ihm aus dem Weg. An diesem Nachmittag aber würde er sich nicht
abweisen lassen. Unwillig sah Lin ihre beiden Priesterschülerinnen an.
»Sala ist auf deiner Seite, Lin. Du hast vollkommen recht, wenn du sagst, dass man dich nicht zu dieser Verbindung zwingen
kann. Die Göttin wird das nicht dulden«, versuchte ihr eines der Mädchen Mut zu machen, doch Lin schüttelte den Kopf. »Sala
spricht ja nicht einmal mit mir. Aber es bleibt dabei … ich werde Braam niemals Engil überlassen. Er ist ein machthungriger
Speichellecker.«
Die Mädchen nickten, wussten jedoch ihrer Herrin auch nicht zu helfen.
»Wir könnten hinausgehen und ihm sagen, dass du die Nacht im Tempel verbringst – in Zwiesprache mit der Göttin«, schlug die
jüngere der beiden Priesterinnen vor.
Lin schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht ständig vor ihm davonlaufen. |383| Ich werde mit ihm reden und ihm sagen, dass er seine Pläne aufgeben muss.« Sie küsste beide Mädchen auf die Stirn und öffnete
die Tempelpforte. Die Hitze des Tages schlug ihr erbarmungslos ins Gesicht, als sie die Tempelstufen hinunterlief. Der Sand
der Straße setzte sich heiß zwischen ihre Zehen, doch Lin ließ es sich nicht anmerken. Braams Gesicht zeigte den Ausdruck
des Siegers, während sie auf ihn zukam. Sein dunkles Haar klebte verschwitzt an seinem Kopf, was seine etwas derben Züge noch
verstärkte. Trotz der flirrenden Hitze trug er lederne Beinkleider, Hemd, Stiefel und Waffengürtel.
»Einmal Krieger immer Krieger, nicht wahr, Braam?«, bemerkte Lin spöttisch, als sie vor ihm stand.
Braam ging auf ihren Spott nicht ein, stattdessen grinste er sie an. »Einmal musstest du ja aus deinem Versteck herauskommen,
Lin. Ich hätte, wenn nötig, noch bis zum Abend durchgehalten.«
»Zweifellos, Braam! Immerhin steht ein Königreich für dich auf dem Spiel.«
Wieder ignorierte er ihren bissigen Kommentar. Stattdessen versuchte er nach ihrer Hand zu greifen, die Lin ihm auf der Stelle
entzog.
»Lin, ich begehre dich nicht nur, weil du die Erbin Engils bist. Ich habe dich bereits auf Salas Sommerwendenfest begehrt
… jenem Tag, an welchem Degan dich so schlecht behandelt hat. Erinnerst du dich an diesen Tag, Lin?«
Am liebsten hätte sie ihn stehen lassen und wäre davongelaufen, doch sie verbarg ihre Verachtung hinter einer Miene kalter
Gelassenheit. »Ich erinnere mich an den Tag … jedoch anders als du. Was immer du auch tust, mit welchen Worten du mich auch
zu gewinnen versuchst – es wird dir nicht gelingen. Ich werde dich nicht zu meinem Gefährten wählen, niemand wird mich dazu
zwingen.«
»Du kannst dich nicht ewig weigern, einen Gefährten zu wählen, Lin. Warum machst du es dir so schwer?«, fragte Braam mit der
Überheblichkeit des Kriegers.
|384| Ohne ihm zu antworten, wandte Lin sich ab und ließ ihn stehen. Sie wusste, dass sie Braam und ihren Vater mit ihren Worten
nicht würde aufhalten können, doch sie wollte sich auf keinen Fall wehrlos in ihr Schicksal fügen.
Lin wischte sich über die Stirn, als sie den Hügel hinauf zum Königshaus ging. Von Degan gab es noch immer keine Spur. Sie
erinnerte sich an Nonas Worte. Wie eine Mahnung hallten sie in ihrem Kopf nach. Sie musste gehen und Degan suchen, ehe sie
gegen ihren Willen mit Braam verbunden wurde. Im Garten des Hauses streifte sie ihre Sandalen ab und setzte sich unter einen
schattigen Baum. Sie erinnerte sich kaum noch an das sorglose Mädchen, das Degans Hemden ausgebessert hatte. War das wirklich
sie gewesen? Es war noch nicht lange her, und doch schienen Ewigkeiten vergangen seit Salas Sommerwendenfest. Lin bat eine
Dienerin, ihr eine Schale mit gekühltem Obst und etwas Wein zu bringen. Es war zu heiß für Wein, aber das war ihr gleichgültig.
Die Männer ertränkten ihre Sorgen im Wein. Warum sollte sie es nicht genauso halten?
Als das Mädchen ihr die Früchte und den Wein brachte, nahm Lin einen großen Schluck aus dem Rotmetallkelch und stellte ihn
dann beiseite. Was würde es ihr nutzen, ihre Sorgen zu ertränken? Sie wären noch immer
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