Blutschwestern
später zu holen. Doch hier war Tojar unbeugsam gewesen, und nun schleppten
sie seine gesamte Sippe hinter sich her.
Die Talukkrieger erlegten die Tiere des Isnalwaldes in so großer Zahl, dass Ilana befürchtete, sie würden alles Leben im Wald
auslöschen. Aus den Häuten der Tieren fertigten sie sich neue Kleidung, da die Fellkleidung, die sie im Taligebirge getragen
hatten, viel zu warm für die Isnalwälder war. Ilana zweifelte an ihrer Entscheidung, die Taluk um Hilfe zu bitten. Sie fürchtete
schon jetzt den Tag, an dem sie dieses ungestüme Volk in ihr geliebtes Engil würde führen müssen und den Menschen erklären,
dass der Schlimmste von allen nun ihr König sei. Was würde Akari denken, wenn es ihr gelang, sie aus den Fängen Karoks zu
befreien? In den Augen ihrer Schwester musste Ilana den Schwesternthron verraten haben. Auch wenn die Zeiten im Wandel waren;
Ilana hatte von einem friedlichen Engil geträumt, in welchem sie an der Seite ihrer Schwester auf dem Thron sitzen und gemeinsam
mit Akari den Menschen Frieden und Glück schenken würde. Nun sollte dieser nichtsnutzige Tojar den Thron Akaris einnehmen.
Was würde er den Engilianern bringen wollen? Grobe Sitten und Gebräuche, das Waffenhandwerk für die Männer, das Wollspinnen
für die Frauen? Ilana überlegte, wie sie diese neue Gefahr von Engil abwenden konnte, und wusste im gleichen Augenblick, dass
sie keine andere Wahl hatte, als sich unterzuordnen. Sie brauchte das Heer der Taluk, um Akari zu befreien, und sie hatte
Tojar ihr Wort gegeben, das sie nicht brechen konnte. Sie war die Königin von Engil! Wenn sie ihr Wort gab, dann musste sie
es halten. Das traf leider auch auf ihr Ehegelübde zu. Tojar ließ sie zwar in Ruhe, doch ihr graute es vor der Vorstellung,
ihr ganzes Leben lang an der Seite eines ungeliebten Königgemahls zu verbringen. Viel zu sehr hatte Ilana die Liebe von Dawon
zu Nona beeindruckt, als dass sie nicht selber auf der Suche nach einer solchen Innigkeit gewesen wäre. Sicherlich war jetzt
nicht der richtige Zeitpunkt, darauf zu hoffen, doch was würde sie tun, wenn ihr einmal der Mann begegnete, |203| den sie bereit war zu lieben? Als Königin von Engil hätte sie sich einen Geliebten nehmen können, der Göttin hätte es gefallen.
Doch als Gemahlin von Tojar würde Sala ihr sicherlich zürnen, da es ihr eigener Priester gewesen war, der die Verbindung zwischen
ihnen gesegnet hatte. Ein Bruch des Gelübdes wäre wie ein Schlag ins Gesicht der Göttin.
Ilana seufzte gequält. Sie würde ihr gesamtes Leben auf alles, was sie begehrt hatte, verzichten müssen. Ihr Blick fiel auf
Tojar, der neben ihr ging. Er sah nicht mehr ganz so schlimm aus wie in den Bergen. Die leichtere Kleidung hatte seinen durchaus
ansehnlichen Körperbau zu Tage gebracht, und nachdem er in einem See gebadet hatte, erweckte er auch mehr den Eindruck eines
Menschen als den eines Tieres. Doch all dieses vermochte Ilana kaum zu trösten. Sie war ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
»Wie lange ist es noch bis nach Dungun?«, fragte er sie, während er neben ihr herging, und Ilana antwortete knapp: »In etwa
fünf Tagen müssten wir das Sumpfland erreicht haben.«
Es war ihr peinlich, dass sie eigentlich überhaupt nicht wusste, wo sie sich befanden. Woher hätte sie das auch wissen sollen?
Sie hatte bis zu ihrer Flucht Engil nicht ein einziges Mal verlassen. Aber natürlich hätte sie es niemals vor Tojar zugegeben.
»Du hast dich nicht zufällig verlaufen?«, fragte er sie wie nebenbei.
Ilana funkelte ihn unfreundlich an. »Zufällig weiß ich ganz genau, wo wir sind«, erwiderte sie gereizt und suchte verzweifelt
nach einem Anhaltspunkt. Doch hier gab es nur Bäume und Bäume und nochmal Bäume. Wenn sie wenigstens die großen Bellockbäume
schon gesehen hätte; dann hätte sie zumindest gewusst, dass sie an der Quelle von Isnal waren, von der aus es nur einen Zweitagesmarsch
nach Osten brauchte, um an die Grenzen des Waldes zu gelangen. Doch bisher hatte sie die Baumriesen nicht ausmachen können.
Auch die Waldfrauen hatte sie nicht gesehen; doch möglicherweise hielten die sich versteckt. Sie mochten keine |204| Gesellschaft, und die Anwesenheit so vieler Talukkrieger hätte ihnen nicht behagt.
Wie um ihre Unsicherheit zu verbergen, hob Ilana die Hand. »Wir werden heute Nacht hier bleiben.«
Sie hätte schwören können, dass sie ein spöttisches Lächeln in Tojars Gesicht gesehen
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