Blutschwestern
der Taluk zusammen und unterhielten sich. Fast beleidigt über die Eintracht, die sich bei
ihnen eingestellt hatte, verschwand sie wieder in ihrem Zelt und warf sich auf ihre Liege. Hatten sich denn alle gegen sie
verschworen? Sie dachte an Akari, Liandra und an Nona und Dawon. Sie hätte alles dafür gegeben, in diesem Moment auch nur
einen Gefährten an ihrer Seite zu haben.
Im Zelt von Tojar war es ruhig. Keiner seiner Männer wagte etwas zu sagen. Ihr Anführer war zornig, und sie wussten auch weshalb.
Die Zeltwände waren dünn, und dass Tojar und die Königin von Engil nicht gerade in Liebe zueinander entbrannt waren, hatte
jeder mitbekommen. Mador, der schon Tojars Vater als Berater gedient hatte und den größten Respekt unter allen Anwesenden
genoss, wagte schließlich das Wort zu ergreifen. Seine Augen waren düster, |209| und seine Stimme wenig freundlich, als er zu sprechen begann. »Du lässt dich von dieser Königin gängeln. Ich kenne Tojar,
den Anführer der Taluk, als einen Mann mit starker Faust und redlicher Gesinnung. Deine Männer führst du mit strenger Hand,
doch deine Gemahlin vermagst du nicht zu bändigen. Die Männer werden bald über dich lachen, Tojar, Sohn von Dogan.«
Ein allgemeines Nicken erfolgte bei Madors Worten.
Tojar, der sie am liebsten alle hinausgeschickt hätte, doch den Sitten seines Volkes nach seinen engsten Beratern Rede und
Antwort stehen musste, bemühte sich um eine Entgegnung, die seine Ehre wieder herstellte. »Sie ist noch ein Kind, ein verzogenes
Kind, aber die Köngin von Engil. Ich kann sie nicht einfach übers Knie legen und ihr eine ordentliche Tracht Prügel verpassen,
und ebenso wenig kann ich sie mit dem Respekt ansehen, den eine Königin verdient. Ich weiß einfach nicht, wie ich mit ihr
umgehen soll.«
Mador und die anderen sahen ihn verständnislos an. Einige von ihnen begannen, ihre Schwerter mit Steinen zu schleifen, als
Mador weitersprach. »Sie ist deine Gemahlin! Du darfst keine Schwäche ihr gegenüber haben. Du musst endlich lernen, Frauen
ihren Platz zuzuweisen. Vielleicht wäre das Unglück mit Cala damals nicht geschehen, wenn …«
Tojar hob die Hand, um Mador Einhalt zu gebieten. Er hatte das ausgesprochen, wovon er beschlossen hatte, dass es nie wieder
erwähnt werden sollte … Cala! Die Erinnerung holte ihn in diesem Augenblick wie eine alte Wunde ein, die sich bei jedem Wetterumschwung
wieder entzündete. Cala war seine große Liebe gewesen, seit sie Kinder waren, und als er alt genug gewesen war, hatte er sie
zur Gefährtin genommen. Sie waren glücklich miteinander, und als Cala ihm einen Sohn gebar, war Tojar wunschlos glücklich
gewesen. Doch eines Tages war sie morgens, ohne irgendjemandem etwas zu sagen, mit dem Kind fortgegangen und am Abend nicht
zurückgekehrt. Am nächsten Tag wurden sie und das Kind gefunden. Sie war in eine Gletscherspalte gestürzt. Cala und sein Sohn
waren tot.
|210| Noch immer quälte die Vergangenheit ihn, denn zu ihrem Tod kam der Gedanke, dass sie ihn vielleicht hatte verlassen wollen.
Tojar würde die Wahrheit nie erfahren, und dieser Umstand nagte noch an ihm, als der Schmerz über den Verlust endlich abzuklingen
begann. Es war nun über zehn Sommer her, doch als Mador es erwähnte, war es Tojar, als wäre es erst gestern gewesen.
»Ilana ist nicht Cala«, presste er hervor und brachte die Männer erneut zum Schweigen.
Wieder war es Mador, der es nach einer Weile wagte zu sprechen. »Aber sie ist deine Gemahlin! Du kannst sie nicht einfach
gewähren lassen.«
»Versteht ihr denn nicht …«, erklärte Tojar schließlich. »Wie sollen wir in Engil heimisch werden, wenn die Bewohner mir vorwerfen,
ihre Königin unterworfen und gedemütigt zu haben?«
»Sie werden sich dir ebenfalls unterwerfen«, befand Mador, für den die ganze Sache einfach schien.
»Also gehen wir nach Engil, um das Reich Muruks zu erhalten … Ist es das, was du willst, Mador … Ist es das, was ihr alle
wollt? Einen dunklen Gott gegen einen Tyrannen eintauschen! Habt ihr so lange in den Bergen von Tali gelebt, dass ihr vergessen
habt, dass wir einmal ein friedliches Volk in den Wäldern von Mengal waren?«
Die Männer blickten betreten zu Boden, und einige legten sogar ihre Waffen beiseite. Schweigen breitete sich unter den rauen
Kriegern aus, als Tojar jedem von ihnen einzeln in die Augen blickte. »Ich werde mich mit dieser Kindkönigin einigen«, rief
er.
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