Blutschwestern
von Schenke zu Schenke. Mit ihrer Hilfe war es einfacher, obwohl ihre Wut viele
Opfer forderte, die Nona gerne vermieden hätte. Sie töteten die überraschten Priester Muruks allesamt und schlugen auf die
Greife ein, die in dem engen Raum, unfähig zu fliegen, sich eher ungeschickt verteidigten. Nona verstand nun, weshalb Dawon
sich nicht gerne in Häusern aufhielt. Ohne den freien Himmel über sich zu haben, war ein Greif plump und fast kampfunfähig.
Daher vermochte Nona nur einige wenige zu verwandeln. Die meisten von ihnen setzten sich zur Wehr, so dass die Engilianer
sie totschlugen, bevor Nona hätte eingreifen können. Trotzdem konnte niemand verhindern, dass viele von ihnen in ihren menschlichen
Körpern aus den Schenken stolperten und flohen. Nona rief |197| den Männern hinterher, sie aufzuhalten, doch diese waren in ihrer Wut kaum noch zu lenken.
Nonas Lungen schmerzten, ihre Beine konnte sie nicht mehr bewegen, und zur letzten Schenke mussten die Männer sie schleppen,
weil sie sich aus eigener Kraft nicht mehr rühren konnte. Sie meinte, an der Last ersticken zu müssen, die sie in sich trug.
Die letzte Schenke fanden sie indes verlassen vor.
»Sie sind fort«, erklärte einer der Männer und warf seinen Knüppel fort. »Ich wünschte, wir hätten sie alle erschlagen! Auf
jeden Fall ist es mit ihrem Mut nicht weit her, wenn sie so schnell das Weite suchen.«
Nona verzichtete auf eine Antwort. Die Männer fühlten sich stark durch ihren Sieg, vergaßen jedoch, wie hilflos sie gewesen
wären, wenn die Greife nicht geflohen, sondern sie noch einmal aus der Luft angegriffen hätten. Nona dankte Sala dafür, dass
sie ihren Anführer als Erstes verwandelt hatte. Doch irgendwann würden sie zurückkehren.
Während die Männer sich gegenseitig auf die Schulter klopften und sich zu ihrem Sieg beglückwünschten, brach Nona nach Luft
ringend zusammen. Unvermittelt hielten sie in ihrem Freudentaumel ein und umringten Nona. Der Wirt kniete sich neben sie.
»Kriegerin der Göttin, sag uns, was sollen wir tun? Wie können wir dir helfen?«
Nona konnte kaum sprechen, da sie meinte, jedes Wort würde ihr den letzten Atemzug rauben. Doch es gab noch einen Greif, den
sie verwandeln musste; und allein für ihn wollte sie leben.
»Bringt … mich … zum Haus der Königin«, stieß sie hervor.
Der Wirt nahm sie hoch. »Bei Sala, was immer du willst, mächtige Kriegerzauberin! Du hast Engil gerettet, ich würde dich sogar
bis ins ferne Wiesenland tragen.«
Als sie Nona in den Gärten vor Ilanas Haus niederlegten und Dawon ihnen vor die Füße sprang, um Nona an sich zu ziehen, wichen
die Männer erschrocken zurück.
|198| »Ein dunkler Greif mit dunklen Schwingen – er muss ein mächtiger Verbündeter Muruks sein«, riefen sie aus und wollten mit
ihren Stöcken auf ihn losgehen, doch da trat Liandra ihnen in den Weg. Nona besaß nicht mehr die Kraft, sich darüber zu wundern,
wie schnell die Priesterin nach dem, was ihr geschehen war, ihre alte Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte. Liandra sah in
ihrem Priestergewand und mit hoch erhobenem Kopf aus wie immer. »Der Greif ist ein Geschenk Salas, rührt ihn nicht an«, befahl
sie, und die Männer ließen die Waffen sinken, da sie die Hohepriesterin erkannten. Trotzdem beäugten sie Dawon weiter misstrauisch,
als er Nona hochnahm.
Als Nona Dawon ansah, erkannte sie seinen Kummer und den Schmerz, den er bei ihrem Anblick empfand. Sie war eine Last für
ihn, die Trauer in seinen Augen verriet es. Er war nicht dafür geschaffen, das Leid menschlicher Gefühle zu teilen. Sie öffnete
den Mund, seine Lippen senkten sich auf ihre. Es geschah jedoch nichts. Kraftlos ließ sie sich in seine Arme zurücksinken
und sah ihn an.
»Warum nicht du? Warum kann ich dich nicht verwandeln?«
»Weil Dawon nicht wie die anderen ist«, hörte sie Liandra antworten. »Er ist nicht verflucht … Dawon ist der einzige seiner
Art. Ein Greif mit einem menschlichen Herzen. Was du als schwer und erdrückend in dir empfindest, ist das Gift Muruks. Alles
ist nun in dir … in dem Kind, das du trägst.«
«Ich bin dir eine Last«, versuchte Nona kraftlos zu erklären, »ich trage so viel Dunkelheit im mir, dass ich mir selbst zur
Last geworden bin. Du musst das Leid der Menschen nicht teilen. Deine Aufgabe ist erfüllt.«
»Dawon begehrt keine Freiheit ohne seine Gefährtin, er teilt gern das Leid der Menschen, denn er hat auch etwas
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