Blutschwestern
dafür erhalten,
was ein Greif niemals haben kann … Liebe. Für die Liebe Nonas trägt Dawon das Leid gerne in seinem Herzen«, flüsterte er.
Liandra trat zu ihnen und zog besorgt die Brauen zusammen. |199| Ihre Hände fuhren über Nonas Körper, über ihren Bauch und schließlich über ihr Gesicht. »Etwas Erleichterung vermag ich dir
zu verschaffen, doch nicht die Schwere von dir zu nehmen.« Sie nickte den noch immer wartenden Männern zu. »Geht nach Hause
und legt euch schlafen. Ihr habt alles getan, was ihr tun konntet. Engil ist wieder frei. Ich werde mich um Nona kümmern.«
Unschlüssig standen die Männer herum, doch als Nona ihnen sagte, dass sie die Frauen in die Isnalwälder geschickt hatte, um
sie in Sicherheit zu bringen, verbeugten sie sich vor der Hohepriesterin und zu ihrer Überraschung auch vor ihr und gingen
ihres Weges. Dawon legte Nonas schlaffen Arm um seinen Hals und trug sie ins Haus. Sanft hob er sie auf Ilanas Ruhelager und
beobachtete, wie die Priesterin Nona unter Flüstern die Hände auflegte. Nona schlug die Augen auf und sah Liandra an.
»Fühlst du dich etwas besser?«, fragte Liandra sie hoffnungsvoll.
»Ein wenig«, erwiderte Nona müde.
»Die Greife sind fort, doch ihr Gift ist in dir. Karok ist die Wurzel dieses Giftes, es ist das Blut aus seinen Adern, welches
die Herzen vergiftet«, sagte sie leise. »Du darfst nicht sterben, Nona! Das Kind, das du trägst, muss leben!« Liandra erhob
sich und legte Dawon die Hand auf die Schulter. Dann ließ sie ihn mit Nona allein. Der Greif hockte sich neben ihr Lager und
nahm ihre Hand.
»Dawon, ich muss so lange leben, bis das Kind geboren wird. Alles andere ist unwichtig, nur dieses Kind zählt. Wenn ich sterbe,
so soll es so sein. Dann bring mich fort aus Engil und begrabe mich. Danach bist du frei!«
Dawon strich ihr mit der Hand über das Gesicht, so sanft wie ein Lufthauch. »Dawon begehrt keine Freiheit ohne Nona. Er will
nur dort sein, wo seine Gefährtin ist.«
Sie schloss die Augen und hielt seine Hand. »Hilf mir durchzuhalten, Dawon. Hilf mir, nicht vor der Zeit zu sterben.«
Er überlegte kurz, dann spürte Nona, wie sich sein warmer Körper an sie schmiegte. Überrascht öffnete sie die Augen und sah, |200| dass er sich neben sie gelegt hatte, eine Schwinge über sie gebreitet.
Nona fühlte sich schuldiger denn je. Nun hatte sie ihn auch noch dazu gebracht, sein natürliches Bedürfnis nach Luft und Raum
zu bezwingen und stattdessen in diesem engen Raum bei ihr zu liegen. Und obwohl er ihr Trost und Wärme schenkte, litt sie
darunter, ihm immer noch mehr abzuverlangen und ihn entgegen seiner Natur an sie zu binden.
|201| Der Weg nach Dungun
Ilana rieb sich die Schultern und setzte den geschnürten Beutel ab, den sie bereits den gesamten Tag getragen hatte. Tojar
musterte sie aus belustigten Augen und fragte, ob er den Beutel mit der Wegzehrung eine Weile für sie tragen sollte. Ohne
zu antworten, warf sie die Trageriemen wieder um ihre Schulter und ging weiter. Sie würde sich keinerlei Blöße vor diesem
Sohn eines Falbrindes erlauben! Seit sie aufgebrochen waren, beobachtete er sie und wartete nur auf einen kleinen Fehler ihrerseits.
Zugegebenermaßen demütigte er Ilana nicht vor den Männern, die sie einigermaßen höflich behandelten und auf ihre Worte hörten.
Doch sie war sich darüber im Klaren, dass sie dies nur taten, solange Tojar es ihnen gestattete. Erst gestern hatte Ilana
einem der Männer befohlen, bis zum Ende des langen Trosses zurückzulaufen und den letzten Nachzüglern zu sagen, dass sie nun
ihr Nachtlager aufschlagen sollten. Er hatte zwar genickt, aber Ilana hatte den Seitenblick gesehen, den er Tojar zugeworfen
hatte; und erst als Tojar ebenfalls nickte, hatte er sich in Bewegung gesetzt. Ilana hatte ihrem Gemahl einen finsteren Blick
zugeworfen und war wütend davongestapft.
Seit fast zwei Wochen waren sie unterwegs und kamen nur langsam voran. So viele Menschen brauchten Platz; wenn man an der
Spitze eines solch langen Trosses lief, brauchte es fast einen zweistündigen Lauf, um ans Ende zu gelangen. Denn natürlich
hatten die Taluk ihre Frauen und Kinder mitgenommen, um sie später nach Engil zu bringen. Noch mehr hungrige Mäuler mussten
nun gestopft werden. Ilana und Tojar hatten sich darüber gestritten, da sie der Meinung war, dass es besser gewesen wäre,
die Frauen und |202| Kinder in den Talibergen zurückzulassen, um sie
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