Blutschwestern
»Viel leicht können wir eine friedliche Übereinkunft finden. Möge Sala uns dabei helfen.« Dann verließ er sein Zelt, da er die anderen
nicht einfach fortschicken konnte.
Ilana fuhr aus dem Schlaf hoch, als Tojar das Zelt betrat. Etwas steif und unschlüssig stand er da, und seine Kiefermuskeln
wirkten angespannt. Er war nicht gerne gekommen und versuchte auch gar nicht, dies zu verbergen.
|211| »Was willst du?«, fuhr sie ihn an.
Tojar hob beschwichtigend die Hand. »Nur reden! Wir müssen reden, sonst wird der Kampf gegen Dungun in einer Katastrophe enden.«
Da in seiner Stimme kein Spott lag und Ilana bereits die gleichen Gedankengänge geplagt hatten, wies sie auf einen Hocker,
auf den er sich in gebührendem Abstand vor ihr niederließ. Ilana zog sich die gewebte Decke ihres Ruhelagers um den Körper.
Tojar stellte zu seiner eigenen Verwunderung fest, dass ihr durchaus weiblicher Körper ihre aufbrausend kindische Art Lügen
strafte. Er legte die Hand vor den Mund und hüstelte peinlich berührt, so als könnte sie seine Gedanken erraten. Doch Ilana
schien es nicht zu bemerken, sie bat ihn noch nicht einmal darum, das Zelt zu verlassen, damit sie sich ankleiden konnte.
»Also …«, sagte sie stattdessen, »worüber meinst du also könnten wir sprechen, ohne wie Schjacks aufeinander loszustürmen.«
Er musste innerlich lachen bei diesem Vergleich, denn tatsächlich waren sie wie zwei kämpfende Tiere, sobald sie sich über
den Weg liefen.
»Du hast überhaupt keine Ahnung, wo wir sind. Wir irren durch die Wälder von Isnal«, stellte er fest. Ilana wollte bereits
aufbrausen, doch in seiner Stimme lag keinerlei Vorwurf, daher zwang sie sich zur Mäßigung. »Ich habe Engil noch nie verlassen,
bevor ich fliehen musste. Ich kenne mich in den Wäldern nicht aus. Seit Tagen halte ich Ausschau nach den Bellockbäumen, die
an der Quelle von Isnal wachsen. Ich weiß, von dort sind es nur noch zwei Tage nach Osten, bis wir das Sumpfland erreichen.
Ich dachte, ich könnte die Quelle nicht übersehen, doch dieser Wald ist groß.«
»Du hättest mich fragen können. Ich weiß die Himmelsrichtungen nach den Sternen zu bestimmen.«
»Siehst du die Blicke nicht, die deine Männer mir zuwerfen? In ihren Herzen kann ich lesen, dass sie mich weder als Köngin
von |212| Engil dulden noch als diejenige, welche sie nach Dungun führen soll. Es schien mir nicht ratsam, meine ohnehin schlechte Stellung
noch mehr zu schwächen.«
Tojar musterte sie überrascht. Konnte in diesem kindlichen Gemüt doch das Herz einer Königin schlagen? Plagten sie tatsächlich
derartige Sorgen? »Ich habe dir vollkommen die Führung überlassen, seit dem Tag, als wir aufgebrochen sind. Niemals habe ich
deine Entscheidungen in Frage gestellt bis zum heutigen Tage, als die Frauen eintrafen.«
Ilana zog die Webdecke noch fester um ihre Schultern und blickte ihm in die Augen. »Bereits als du mich zu einer Verbindung
gezwungen hast, haben deine Männer mich nicht mehr ernst genommen. Sie sehen nur eines in mir – eine Sicherheit, die ihrem
Anführer ermöglicht, die Macht an sich zu reißen. Sie erwarten von mir, dass ich still sitze und mich dir unterordne. Doch
ich liebe mein Volk, und ich liebe meine Schwester. Dies ist mein Kampf! Jahrhundertelang haben die Schwesternköniginnen nur
auf ihrem Thron gesessen, um sich gegenseitig zu bekämpfen und ein neues Schwesternpaar dem gleichen Schicksal zuzuführen.
Ich habe nach einem Ausweg gesucht und ihn in den Prophezeiungen Salas gefunden. Und nun kommt Tojar, der Anführer der Taluk,
und will mir alles entreißen, wofür ich gekämpft habe.«
Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Das wollte ich niemals! Ich will eine neue Heimat für die Taluk, und ich will sie in Frieden
finden!«
»Wollen deine Männer das auch?«, fragte Ilana schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Beinahe wäre es wieder zu einem Streit
gekommen, doch dann erinnerte sich Tojar an die Worte Madors.
»Sie haben lange in den Bergen gelebt … sie müssen sich erst daran gewöhnen, nicht mehr nur einem Anführer zu folgen.«
»… und auf die Worte einer Frau zu hören!«, schloss sie seinen Satz ab.
Er nickte betreten und erhob sich dann. »Sie werden für dich und |213| Engil kämpfen. Vielleicht tun sie es nicht für dich in diesem Augenblick, aber sie werden es tun. Das ist ein Anfang, oder?«
Zögerlich reichte er Ilana die Hand, wie die Menschen Engils das taten,
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