Blutschwestern
um sich ihrer Freundschaft zu versichern, und es fühlte
sich seltsam an, als sie seinen Händedruck erwiderte. Sein ganzes Leben hatte er nur den Gruß der Taluk verwendet, indem er
seine Faust zu den Lippen geführt hatte. Im Taligebirge berührte man sich nicht. Frauen wurden geküsst oder auf das Lager
gehoben, Ilanas Hand in seiner war eine seltsame, jedoch nicht unangenehme Geste.
Als er sie losließ, hatte er neue Hoffnung geschöpft. Vielleicht würden sie doch noch eine Art Frieden finden.
Als sie am nächsten Morgen aufbrachen, erklärte ihr Tojar leise den Weg, so dass seine Männer es nicht mitbekamen. Anscheinend
hatte er noch in der Nacht die Sterne studiert. Der Frieden, der augenscheinlich zwischen ihnen bestand, beruhigte das Herz
aller, denn nichts war schlimmer für die Männer, als von einem zerrütteten Königspaar in den Kampf geführt zu werden. Sie
kamen gut voran, doch am Mittag stieß ein Bote aus Engil zu ihnen. Er war seit Tagen gelaufen und dementsprechend müde und
ausgehungert. Ilana ließ ihm Wasser und kaltes Fleisch bringen, und der Mann schlang alles dankbar in sich hinein. Dann endlich
erklärte er Ilana und Tojar, der sich zu ihnen gesellt hatte, dass die Hohepriesterin Liandra aus Engil ihn geschickt hatte,
um die Frauen und Kinder zurückzurufen. Nicht ohne Stolz berichtete er, dass die Greife fort aus Engil waren und dass die
Kriegerin Nona es geschafft hatte, sie zu vertreiben.
»Wie geht es Nona? Und wie geht es dem Kind?«
Der Mann schüttelte traurig den Kopf. »Sie besitzt zwar einen mächtigen Zauber, denn wie sonst hätte es ihr gelingen können,
die Greife zu vertreiben. Manche der Männer haben erzählt, dass sie viele von ihnen verwandelt hat in … nun ja, seltsame Wesen
mit dem Körper einer Raubkatze und dem Kopf eines Raubvogels. Aber ich habe nur gesehen, dass viele von ihnen fliehen konnten;
und sie sahen aus wie immer.«
|214| »Wie geht es Nona?«, fragte Ilana erneut ungeduldig, denn alles andere hatte sie bereits von den Frauen erfahren.
»Sie ist sehr krank. Die Hohepriesterin hat gesagt, dass sie zuviel des dunklen Giftes in sich aufgenommen hat, und obwohl
sie noch lebt, weiß niemand, wie lange sie durchhalten wird … und wie lange das Kind durchhalten wird, das sie trägt.«
Ilana wandte sich verzweifelt an Tojar. »Wir müssen Muruk besiegen und Akari aus seinem Bann befreien. Nona muss leben … ihr
Kind muss überleben.«
Tojar sah sie zweifelnd an. »Besagt die Prophezeiung Salas nicht, dass nur das Kind Muruk besiegen kann?«
Ilana sprang auf. Nichts hielt sie mehr. Nun, da sie wusste, wie schlecht es um Nona stand, wollte sie möglichst schnell nach
Dungun gelangen und Akari befreien. Sie musste sie nach Engil bringen, und sie musste Karok töten.
»Wir müssen es versuchen«, stellte sie Tojar gegenüber klar. »Ich weiß keine andere Möglichkeit. Vielleicht steht Sala uns
bei.«
Tojar gab schließlich nach, und Ilana beruhigte sich. Jetzt, da sie schnell handeln mussten, schickte sie nicht nur die Frauen
Engils mit dem Boten zurück, sondern befahl auch, dass die Frauen der Taluk sich ihnen anschließen sollten. Sie würden sie
nur unnötig aufhalten. Es entbrannte ein kurzer heftiger Streit zwischen Mador und Tojar, als er den Frauen befahl, mit den
anderen Richtung Engil zu ziehen, doch schließlich unterwarf er sich dem Befehl seines Anführers.
Als die Frauen mit dem Boten fort waren, wandte sich Tojar Ilana zu. »Du bist nun die einzige Frau hier, und die Männer sind
gereizt. Wenn ich in Dungun falle, dann kehre zurück nach Engil und lasse den Zorn meiner Männer abklingen. Sie werden dir
folgen, jedoch nicht zu diesem Zeitpunkt.«
Ilana wusste, dass er die Wahrheit sprach, auch wenn sie es nicht gerne hörte. Doch was zählte dies alles jetzt noch? Jetzt
ging es nur noch darum, Dungun zu erreichen und all diejenigen zu retten, die sie liebte.
|215| Im Herzen der Dunkelheit
Das Sumpfland lag vor ihnen wie eine endlose Wüste, nur dass diese nicht aus Sand bestand, sondern aus stinkendem Schlamm,
in dem Kadaver von Tieren und sogar Menschen verfaulten. Tojar bedeckte sein Gesicht mit dem Handrücken, als der Schwall fauligen
Geruchs in seine Nase drang.
»Das ist ekelerregend«, sagte er und dann an Ilana gewandt: »Was ist das für ein fürchterliches Land?«
»Es ist die Grenze zu Muruks Reich, das Land der Schjacks. Hierhin bringen sie ihre Beute, um sie dann zu
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