Blutschwestern
das Herz ihrer Schwester zu befreien,
und sie betete zu Sala, damit sie Akari half, aus dem Reich Muruks zu entkommen.
Irgendwann hatte sie keine Tränen mehr, die sie vergießen konnte, und legte sich auf die Pritsche. Sie war fest entschlossen,
ihr Schicksal anzunehmen und Nonas Leben zu schützen, als sie einschlief.
Als Ilana am nächsten Morgen erwachte, quälte sie ein schrecklicher Durst. Sie fühlte sich schwach und schwindelig, ihre Zunge
lag dick und aufgequollen in ihrem Mund, und am Nachmittag, als sie meinte, verrückt werden zu müssen, wenn sie nicht bald
Wasser bekäme, schloss sie die Augen und konnte nichts dagegen tun, dass sie in Gedanken immer wieder nach Nona rief.
Hilf mir, ich will hier nicht sterben, nicht so, ich kann es nicht! Nona, hörst du mich? Bitte hilf mir!
|240| Eine bittere Wahrheit
Nona öffnete die Augen, ihre Lider fühlten sich an wie schwere Steine. Dawon regte sich neben ihr, als sie versuchte, sich
aufzusetzen. Sie hatte von Ilana geträumt. Aber war es wirklich ein Traum gewesen? Ilana hatte sie gerufen und verzweifelt
geklungen. Sie hatte Durst verspürt … und Kälte! Es war, als wäre sie in Ilanas Körper gewesen und hätte gefühlt, was sie
fühlte. Nein, es war kein Traum gewesen. Ilana hatte nach ihr gerufen, sie hatte um Hilfe gerufen!
Nona fuhr Dawon über das Gesicht, der scheinbar friedlich neben ihr schlief. Sie wusste es besser! Obwohl er kaum von ihrer
Seite wich, hatten seine Augen an Glanz verloren. Er fühlte sich eingesperrt in diesem Raum, der für Nona selbst zum Gefängnis
geworden war. Schwach war sie und ausgezehrt, sie konnte kaum auf ihren eigenen Beinen stehen, wenn Dawon ihr nicht half.
Der Greif öffnete die Augen und legte schützend einen Arm um sie.
»Ilana hat mich gerufen«, sagte sie leise. »Irgendetwas ist passiert. Es geht ihr nicht gut. Ich muss sie finden.«
Dawon sah sie sanft und ohne Vorwurf an. »Nona ist zu schwach. Was will sie tun, um Ilana zu helfen?«
»Du musst mich zu ihr bringen, Dawon. Sie wird sterben, wenn ich ihr nicht helfe.«
»Nona könnte sterben«, sagte er traurig, doch erhob sich vom Lager und nahm sie hoch. Sie legte ihre Arme um ihn und war dankbar,
dass Dawon nicht versuchte, sie aufzuhalten. Dawon hätte alles für sie getan, das wusste sie, und wieder fühlte sie |241| Schmerz darüber. Sie war eine Zumutung für ihn! Sein Herz war so rein, dass er noch nicht einmal Zorn empfinden konnte.
»Wohin soll Dawon Nona tragen?«, fragte er leise.
Nona überlegte eine Weile. Ilana hatte nicht erwähnt, wo sie war, aber Nona meinte die Kälte und Verzweiflung zu kennen, welche
die Königin gespürt hatte.
»Nach Dungun«, antwortete sie schließlich, und auch dieses Mal versuchte Dawon nicht, sie aufzuhalten. Er trug sie aus den
Gemächern hinaus in den Garten, wo ihnen Liandra entgegentrat und Dawon erstaunt ansah. »Was hast du vor? Wohin willst du
Nona bringen?«
»Nona muss nach Dungun gehen. Ilana ist in Gefahr«, antwortete er arglos.
Die Priesterin schüttelte heftig den Kopf. »Nona ist sterbenskrank. Du darfst sie nicht fortbringen. Du setzt das Leben des
Kindes aufs Spiel.«
»Ilana braucht Hilfe, auch sie wird sonst sterben«, wandte Dawon ein.
Das Gesicht der Hohepriesterin wurde hart. »Ich wünsche nicht, dass Ilana stirbt, aber das Leben des Kindes ist wichtiger.
Ilana kann uns nicht retten, nur dieses Kind vermag es. Vor allem anderen muss sein Leben geschützt werden.«
Nona spürte die Unnachgiebigkeit der Priesterin und wusste, dass sie Dawon, der zu gutherzig war, um sich gegen sie durchzusetzen,
zur Hilfe kommen musste. »Ilana ist unsere Königin. Wie kannst du sie so einfach aufgeben?«
Die Augen Liandras verengten sich. »Ich kann nicht anders handeln, Nona. Dieses Kind ist zu wichtig für uns. Wir müssen alles
tun, damit Engil nicht noch einmal überfallen wird. Das Kind wird Engil schützen. Sie fürchten es. Sie fürchten seine Macht.«
»Und was ist mit dir, Liandra? Wovor fürchtest du dich?«, wandte Nona ein, da sie eine seltsame Angst im Verhalten der Hohepriesterin
spürte, die sie nicht verstand. Liandra war stets mutig |242| und unerschrocken gewesen. Hatte der Angriff des Greifenheeres ihr Herz derart mit Furcht erfüllt? Sie erinnerte sich daran,
wie sie Liandra gefunden hatte. »Dein Zorn und deine Verbitterung sind die ersten Schritte in Muruks Arme«, fügte sie hinzu.
Liandra erschrak. Plötzlich konnte sie Nona kaum
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