Blutseele
»Ich hätte nicht kommen sollen.«
»Mir geht es gut«, sagte er und lächelte müde auf sie herab.
»Gut?«, fragte sie bitter, als sie sich seinen Armen entzog. »Schau dich an. Sieh doch, was ich dir angetan habe. Kaum bin ich zur Tür hereingekommen, schon zitterst du.«
»Mia.«
»Nein!«, rief sie und schubste ihn weg, als er versuchte, sie wieder zu umarmen. »Ich hasse, was ich bin. Ich kann niemanden lieben. Verdammt, Tom, das ist nicht fair!«
»Shhhhh«, beruhigte er sie, und dieses Mal ließ Mia seine Umarmung zu. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und ließ sich wiegen wie ein Kind. »Mia, mir macht es nichts aus, dir meine Stärke zu geben. Sie kommt zurück.«
Mia konnte kaum atmen in der Welle reiner Liebe, die von ihm ausging und die das feine Klingeln von Windspielen in der Sommersonne in sich trug. Seine Liebe war so berauschend, so wunderbar. Aber sie konnte sie nicht nehmen. Sie musste widerstehen. Wenn sie sich davon abhalten konnte, sie zu trinken, dann würde sie irgendwann zu ihm zurückfließen und ihn stark und unberührt halten.
»Aber nicht schnell genug«, murmelte sie in sein Flanellhemd und stählte sich gegen seine Emotionen, wenn auch nicht gegen sein Worte. »Ich bin zu früh zurückgekommen. Dir geht es nicht gut. Ich sollte gehen.«
Aber er ließ sie nicht los. »Bitte bleib«, flüsterte er. »Nur eine Weile? Ich will dich lächeln sehen.«
Sie entzog sich seiner Umarmung und blickte in seine ernsten Augen. Es war zu früh, aber sie würde es richtig machen. Sie konnte es schaffen. »Ich werde dir einen Kaffee machen«, sagte sie, als wäre es ein Zugeständnis, und er ließ sie los.
»Das wäre schön. Danke.«
Mit unsicheren Bewegungen legte Mia ihren Regenmantel ab und zog ihre Schuhe aus. Barfuß und in ihrem hellblau-grau gemusterten Kleid machte sie sich in der Küche zu schaffen. Sie nahm sich einen Moment, um in der Spiegelung auf der Mikrowelle ihre Haare zu richten. Vorwurfsvoll starrte ihr Spiegelbild sie an, mit dem wachsenden Schwarz des Hungers in den fahlen Augen. Die durchbohrte Münze an dem purpurnen Band baumelte wie eine Anschuldigung an ihrem Hals, und sie umfasste sie für einen Moment, während sie nachdachte. Sie würde nichts mehr von diesem Mann nehmen. Sie konnte das schaffen. Sie hatte Liebe finden wollen, und jetzt hatte sie sie. Das war das Risiko wert.
Tom seufzte, als er sich an den Tisch zwischen der Küche und dem Wohnzimmer setzte, erschöpft, aber glücklich. Am anderen Ende des Raums, hinter der geschmackvollen Einrichtung und den verstreuten Notenblättern, war ein großes Fenster, das über die Straße hinausblickte. Die Vorhänge waren zurückgezogen, aber der Regen davor war wie ein grauer Schleier, der die Welt verbarg und die Wohnung in einen Rückzugsort verwandelte.
Ihr Seidenkleid rauschte leise, als Mia zwei leere Tassen auf den Tisch stellte. Sie beobachtete, wie sich Toms lange Finger um das Porzellan legten, obwohl die Tasse noch kalt war. Besorgt setzte sie sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hinter ihnen arbeitete die Kaffeemaschine. »Wie geht es dir?«
Er lächelte, als er die Sorge in ihrer Stimme hörte. »Viel besser, jetzt, wo du hier bist.«
Mia lächelte zurück, unfähig, sich davon abzuhalten, seine Liebe wie ein Schwamm aufzusaugen. Fast überwältigt von ihrer Reinheit senkte sie den Blick und sah dabei ausgerechnet die Münze. Ihre Laune verdüsterte sich.
»Läuft die Arbeit gut?«, fragte sie in der Hoffnung, dass er üben würde, aber Tom drückte entschuldigend ihre Hand. Wenn er spielte, dann gab er eine riesige Menge Gefühle ab, weil er sich in seiner Musik verlor, so als zapfe er das Uni versum kurz nach seiner Erschaffung an. Wenn sie hier wäre, um es aufzusaugen, würde ihn das für Tage schwächen. Wenn sie nicht hier war, dann hingen die abgegebenen Gefühle für Tage in den Räumen und badeten seine Seele in einer Art erweiterter Aura. Nicht ganz Feng Shui, sondern eher ein bleibender Fingerabdruck des Gefühls, das selbst Tage danach noch Launen beeinflussen konnte.
Das hatte sie von Anfang an zu ihm hingezogen.
»Die Arbeit läuft toll«, sagte er, lehnte sich zurück und schaute von ihr zur Kaffeemaschine. »Für nächsten Monat ist ein Konzert angesetzt, und es sieht so aus, als wäre ich bereit.«
Solange du mir nicht meine Stärke nimmst, konnte Mia ihn fast den Satz beenden hören.
»Es tut mir leid«, hauchte sie. Sie
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