Blutsgeschwister
warnenden Blick zugeworfen hatte. »Wir sehen uns.«
Sobald der Wagen des Sheriffs außer Sichtweite war, küsste Ilan Fancy so wenig unschuldig wie möglich und sagte: »Bitte sag nicht, dass du kurz davor warst, den Sheriff zu töten.«
»Ha-ha.« Sie stieß ihn von sich. Sie mochte es, ihn zu küssen, aber es war zu heiß für lange Umarmungen. »Er wollte mir nur mitteilen, dass er über alles Bescheid weiß«, sagte sie. »Und dass es ihm egal ist, solange er mitmischen kann.«
»Nett. Ist irgendwie heiß, dir bei deinen guten Taten zuzusehen«, sagte er, als sie zur Treppe gingen, die runter in den offenen Keller führte, wo die kühle Luft ihnen von unten entgegenschlug. »Ich sollte dir so einen Zauberstab für Märchenprinzessinnen kaufen, damit du richtig in deine Rolle reinkommst.« Er setzte sich unbeholfen auf die Stufen. Seine Knie waren so angewinkelt, als wollte er nicht, dass seine langen Beine in den Schattenkreis am Kellerboden gelangten.
Fancy wickelte die Muffins in ihrem Schoß aus. »Ich hab sieben Zauberstäbe. Irgendwann leih ich dir mal einen aus. Kit mag nicht mehr Märchenland spielen. Aber wir könnten es spielen, wenn du willst.«
Ilan lachte, er schien zu denken, sie hätte einen Witz gemacht. Aber sein Lachen war so ansteckend wie sein Lächeln, und als sie einstimmte, war sie mit einem Mal unheimlich froh, dass er hier bei ihr war und nicht unten in Huntsville.
»Warum bist du nicht mit Kit und Gabriel gefahren?«, sagte sie.
»Muss dieses Wochenende arbeiten.«
»Wo?«
»In Pinkerton. Als Hotelpage.« Er klaute sich einen Bissen von ihrem Muffin. »Warum bist du nicht mitgefahren?«
»Aus demselben Grund, warum ich nicht im Kurs war: Ich hasse alle.«
»Sogar mich?«
»Nein. Aber wenn ich schlecht drauf bin … Ich wollte dir nicht aus Versehen etwas antun. Oder Kit. Oder Gabriel.«
»Mir wäre es lieber, du tätest mir weh als Gabe. Ich muss schließlich auf den kleinen Dreckskerl aufpassen. Aber erstich mich einfach, irgendwas Schnelles. Ich möchte nicht so gerne den Rest meines Lebens auf der Arschbacke von jemandem zubringen müssen.« Er winkte hinunter in den Keller. »Oder in deiner Vorstellung von Hölle verschwinden oder so.«
»Das ist nicht die Hölle«, sagte Fancy entrüstet. »Es ist normalerweise nett. Ich hatte nur letztens schlechte Laune. Willst du rübergehen?«
Er zog den Kopf ein und versuchte, die ganze Treppe hinunterzusehen, schaffte es aber nicht, weil der Winkel schlecht war. »Weiß nich.«
»Ich kümmere mich um dich.«
»Du meinst das auf nicht mörderische Art, oder?«
»Muss ich das wirklich beantworten?«
»Ja, musst du.«
»Ich verspreche, ich werde …«
»Das war ein Scherz. Ich vertraue dir.«
»Ehrlich?«
»Zur Hölle. Du hast dich entschlossen, mir zu vertrauen, als ich nicht zugelassen habe, dass mich deine Hunde töten. Du vertraust mir genug, um mich nicht anzulügen. Also hab ich mich entschieden, dir auch zu vertrauen.« Er runzelte die Stirn, als sie auf den Teller mit den Muffins sah. »Ich kann dir doch vertrauen, oder?«
Fancy hob die Schultern. »Klar. Ich mach nichts.« Sie stand auf, winkte ihn runter in den Keller und sah zu, wie er hinabstieg.
»Nicht mit dir«, flüsterte sie.
»Ist das ein neuer Baum?«, fragte Ilan und ging zu einem der Steinkreise auf der Plattform.
Aus der Mondblume, die Fancy aus ihrem Hinterhof mitgenommen und an dem glücklichen Ort vergraben hatte, nachdem Gabriel sie angegriffen hatte, war ein Baum mit lecker duftenden Früchten in der Form von winzigen, weißen Halbmonden gewachsen.
»Ja. Das ist der einzige Baum, der nicht aus einer Leiche gewachsen ist.« Sie pflückte einen der Halbmonde. »Probier mal.«
Sie fütterte Ilan mit der Halbmondfrucht und lachte, als er mit den Zähnen nach ihren Fingern schnappte. »Wie schmeckt das?«
»Großartig.«
Sie verstummte, als seine dunklen Augen so milchig weiß wie die Mondfrüchte wurden und der Blick so leer wie der einer Puppe. Sie griff nach seiner Hand – sogar seine Hand fühlte sich unecht an. Wie Plastik. »Kann ich dich was fragen?«
»Alles.«
»Warum hast du Gabriel wirklich die Treppe runtergestoßen?«
»Weil ich ihn liebe.«
»Das ist nicht der einzige Grund.« Sie schüttelte ihn, als er nicht antwortete. »Oder?«
»Nein.«
»Du warst sauer auf ihn, richtig?«
»Ja.«
»Sag mir warum.«
»Wegen etwas, das er tun wollte.« Sogar seine Stimme war falsch, sie klang mehr wie die Aufnahme einer Stimme, nicht
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