Blutsgeschwister
tätowiert?« Aber sein Gelächter brach sofort ab, als sich das Tattoo bewegte.
»Das ist kein Bild«, sagte Fancy. »Das ist George.«
George kullerte bunt über Egberts blasse Gesäßbacke. Nur über die linke – er schien es nicht über die breite Schlucht auf die andere Seite zu schaffen. Innerhalb des Raums, den er zur Verfügung hatte, flitzte er in diese und jene Richtung, wie eine gefangene Fliege, die mit dem Kopf gegen eine Fensterscheibe stieß.
»Zieh dir wieder die Hose hoch, du Perverser«, sagte Ilan, als die Kellerwände mit einem Mal wieder um sie herum erschienen. »Wir sind jetzt in der echten Welt.«
Egbert zog seine Shorts mit einem zufriedenen Seufzer hoch und berührte die glatte Haut an seiner Stirn. »Ist sie noch drauf?«
»Das ist jetzt deine Haut«, sagte Fancy. »Natürlich ist sie drauf. Vergiss nur nicht, Egbert: Wenn du irgendwann George nicht mehr auf deinem Hintern haben willst, sag Bescheid, und ich entferne ihn und lass ihn am glücklichen Ort frei.«
Egbert lächelte Ilan an. »Danke, dass du mir geholfen hast.« Dann wandte er sich zu Fancy. »Und danke dir.« Er griff in die Tasche und holte drei Vierteldollar- und eine 10-Cent-Münze hervor.
Fancy nahm automatisch das Geld, aber dann stutzte sie. »Ist schon gut«, sagte sie und gab ihm sein Kleingeld zurück.
Nachdem Ilan Egbert in sein Auto gesetzt hatte, ging er rüber zur Fahrerseite, wo Fancy auf ihn wartete. Er legte seine Arme um sie. »Ich kann wieder für dich auf die Jagd gehen, wenn du willst. Oder wir könnten es zusammen tun.«
»Okay«, sagte Fancy und fühlte sich hilflos. Ilan wusste immer, was er sagen musste, damit sie sich … perfekt fühlte. Aber sie wusste nie, was sie antworten sollte.
»War süß, was du getan hast.«
»Du meinst, was ich nicht getan hab.«
Er küsste sie und lächelte dabei. »Ja. Pfannkuchensüß.«
Die Pfannkuchensüße hielt noch für eine erstaunlich lange Zeit an. Fancy fühlte sie so sehr, dass die Vorstellung, auf Kit sauer zu sein, keinen Sinn mehr ergab. Deshalb beschloss sie am Mittwoch nach ihrem Kurs, Frieden zu schließen.
Kit war im Wohnzimmer und übte Tonleitern, als Fancy sich zu ihr auf die Klavierbank setzte und ihr die Daisy-Duck-Puderdose vors Gesicht hielt.
Kit verspielte sich und hörte auf. »Daddy?«
Er trug einen orangefarbenen Overall und saß in seiner Einzelzelle. Er las Bleak House von Charles Dickens.
»Ist er das wirklich?«
»Wenn ich mir das ausdenken würde«, sagte Fancy und starrte in den Spiegel, »wäre es deutlich interessanter.«
»Ja, das stimmt.« Kit lachte und betrachtete mehrere Minuten lang den uninteressanten Vorgang, wie ihr Daddy ein Buch las, als wäre es das Faszinierendste, das sie je gesehen hatte.
Kit tippte gegen den Spiegel, wie um Daddys Aufmerksamkeit zu erlangen. »Ich weiß, dass er all diesen Leuten wehgetan hat, aber wie kann jemand einfach entscheiden, dass du und ich es nicht mehr verdient haben, einen Vater zu haben?«
Fancy dachte darüber nach. »Man sollte meinen, dass sie wenigstens einen Ersatz stellen könnten.«
Kit boxte ihr gegen die Schulter. »Niemand könnte Daddy ersetzen. Außer vielleicht Bill Cosby oder so jemand.«
»Ich hab mir überlegt, ob ich ihn nicht mal besuchen sollte.«
»Wirklich? Ich weiß nicht, ob ich das sehen will. Ich weiß, wir dürfen, und die Todesspritze tut nicht weh, aber ich weiß nicht, ob ich zusehen will, wie er stirbt. Außerdem dauert es nur sieben Minuten, und er wird nicht mal zucken oder so, also wozu?«
»Ich meinte, ihn besuchen, bevor er getötet wird.«
»Meinst du, Madda lässt uns?«
»Sie würde nicht selbst gehen wollen, aber sie würde uns nicht davon abhalten. Solange wir versprechen, nicht wie Wahnsinnige zu fahren.«
»Lass uns nächstes Wochenende hin! Ein Ausflug, Fancy, so wie in den Filmen. Mit den Jungs! Meinst du, die Jungs würden mitkommen?«
»Jungs?« Fancys Begeisterung für den Ausflug war fast genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war.
»Die Turner-Brüder. Meinst du nicht, sie würden gern mitkommen und sich Daddy vornehmen? Vielleicht um einen Abschluss zu haben?«
Fancy ließ die Puderdose so heftig zuklappen, dass sie beide hörten, wie der Spiegel zerbrach. Fancy schoss von der Bank hoch, rannte durchs Zimmer und rettete sich zum Buffet.
»Ich hab das Gefühl, du willst gar nicht mehr, dass wir zu zweit sind, nur du und ich. Als würdest du immer nach einer Entschuldigung suchen, um nicht mit mir allein zu
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