Blutsgeschwister
nicht.« Trotz der ganzen Heulerei war Mrs. Darcy offenbar doch kein Weichei. »Du hältst dich schön von dem ganzen Staub und Asbest und was weiß ich noch allem fern. Du weißt doch, wie deine Lungen sind. Und jetzt hol den Mädchen hinten aus der Kühlbox was Kaltes zu trinken.«
»Nein, danke, Ma’am«, sagte Kit, als Jessa schmollte. »Wir haben ganz wenig Zeit. Madda erwartet uns rechtzeitig zurück zum …«
»Kit?«
Gabriel tauchte hinter ihnen auf und schob eine leere rote Schubkarre vor sich her, die er neben Kit zum Stehen brachte. Er trug ein goldenes Kreuz, ähnlich dem, das er Kit in Cherry Glade gegeben hatte. Wahrscheinlich hatte er eine ganze Schublade voll mit Kreuzen, die er an dumme Mädchen verteilte wie Süßigkeiten. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »1. Timotheus 1,15«, irgendeine hochtrabende biblische Weisheit, davon war Fancy überzeugt. Aber der Blick, den er Kit zuwarf, war alles andere als christlich.
Gabriel umarmte Kit, als wären sie alte Freunde, und Kit enttäuschte Fancy schwer, weil sie Gabriel für diese Dreistigkeit nicht ins Gesicht schlug. Stattdessen kicherte sie idiotisch.
»Gestern im Kurs warst du großartig«, sagte er. »Deine Jazzimprovisation war eine der besten, einfach echt natürlich.«
»Das liegt daran, dass mich Fancy neuerdings zwingt, mir einen Haufen von diesem Weltwirtschaftskrisenmist anzuhören.«
Nachdem Kit sie erwähnt hatte, wurde Gabriel endlich auf Fancy aufmerksam und nickte ihr zu. »Ihr zwei seid also hier, um Miz Irene zu helfen?«
»Ja!«, sagte Kit.
Fancy stieß sie mit dem Ellenbogen an.
»Nur ein bisschen?« Kit bettelte fast schon. »Nur lange genug, um zu helfen, etwas von dem Unrat wegzuschaffen?« Kit nahm den leidenden Seufzer ihrer Schwester als Zustimmung auf, und kurz darauf schleppte Fancy tatsächlich Abfälle durch die heiße Sonne und wünschte sich verzweifelt ein Eisloch, in das sie fallen könnte.
Aus dem bisschen wurde eine Dreiviertelstunde, und nachdem Fancy Gabriels rote Schubkarre mit Hausschutt zum millionsten Mal zum Bordstein vorgeschoben und Kit und ihre Hormone zum trillionsten Mal verflucht hatte, wuchtete sie die Schubkarre auf die Seite. Mit einem kalten, zufriedenstellenden Klong fiel sie um. Dann machte sie sich auf die Suche nach Kit, und für den Fall, dass ihre Schwester immer noch nicht bereit sein sollte zu gehen, war Fancy wild entschlossen, sie auch schreiend und tretend von hier wegzuzerren.
Fancy ging im Haus der Darcys nach oben, und durch die offene Tür zu einem Abstellzimmer, das mit einer Campingausrüstung vollgestopft war, sah sie Gabriel über einem Mädchen auf dem Boden knien. Und sie küssen. Aber das Mädchen war nicht Kit.
Fancy musste ein Geräusch gemacht haben, denn er sah zu ihr auf und sagte: »Ich habe noch mehr Küsse übrig.« Sie bekam Gänsehaut von seiner Stimme. »Jede Menge Küsse auch für dich.«
Fancy schrak vor dem hässlichen Ausdruck auf seinem Gesicht zurück. Sie war bereit zu glauben, dass sie unmöglich so viel Hässlichkeit auf so einem schönen Gesicht gesehen haben konnte.
Fast.
Fancy rannte nach unten, um Kit zu suchen, bis sie sie im Hinterhof bei Mrs. Darcy fand. Fancy schnappte sich ihre Schwester und zog sie ins Haus. Mrs. Darcy war ihnen dicht auf den Fersen, weil sie wissen wollte, was Fancy so aufgeregt hatte. Als sie bei Gabriel ankamen, küsste er das Mädchen nicht mehr. Er drückte auf ihren Brustkorb.
»Oh mein Gott!«, schrie Mrs. Darcy. »Jessa!«
Bevor sie ihre Tochter erreichen konnte, fing Jessa an, nach Luft zu schnappen und zu husten. Gabriel lehnte sich zurück. »Na endlich, Mädchen. Das hat ja ewig gedauert.«
Mrs. Darcy drückte ihre Tochter an ihre Brust. »Was ist passiert?«
Gabriel sagte: »Mr. Darcy hat mich hergeschickt, um nach einer Abdeckplane zu suchen, und da hab ich sie ohnmächtig auf dem Boden gefunden. Sie hat nicht mehr geatmet.«
»Ich hab dem Mädchen gesagt, sie muss auf ihre Lungen achten.« Mrs. Darcy schüttelte Jessa heftig. »Was hab ich dir gesagt?«
»Ich wollte doch nur helfen«, sagte Jessa.
Mrs. Darcy umarmte sie noch einmal ganz fest. »Mein armes Kind. Wir bringen dich jetzt erst mal zum Arzt.«
Jessa protestierte: »Ich brauche keinen Arzt.«
»Sei still!« Mrs. Darcy strahlte Gabriel an. »Aber erst bedankst du dich bei dem jungen Mann, dass er dir das Leben gerettet hat.«
»Danke«, sagte Jessa schüchtern.
Er winkte ab, ganz bescheiden und verschämt, als hätte er nicht
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