Blutsgeschwister
leid, dass ich dich nicht mit zu Amelia gelassen habe.«
»Hier ist einer«, sagte Fancy, als hätte Kit nichts gesagt. »Liebe Schwestern. Ich glaube, ein Monster verfolgt mich. Es ist grün und hat Federn und lange, rote Zähne. Ich hab Angst, aus dem Haus zu gehen. Könnt ihr mir helfen?«
»Es ist nur so, dass du immer so komisch wirst, wenn ich anderen Leuten Aufmerksamkeit schenke.« Kit starrte auf das Teegeschirr, als hätte sie es nie zuvor gesehen, als wäre sie gegen ein Double ausgetauscht worden.
Fancy schrieb: »Tut mir leid, Gayle. Wir können mit Menschen- Monstern umgehen. Monster- Monster sind nicht unsere Liga. Pass auf dich auf, und viel Glück dabei, nicht aufgefressen zu werden.«
Kit strich Fancy übers Haar und tätschelte sie, als wäre sie eine Katze. Obwohl Fancy es über sich ergehen ließ, war sie weit davon entfernt zu schnurren.
»Irgendwann lerne ich jemanden kennen, und du wirst ihn nicht einfach ins Traumland scheuchen können …«
»Es ist der glückliche Ort . Oder er war es. Ich bin nicht mehr glücklich.«
Kit hörte auf, sie zu berühren. »Das tut mir leid.«
»Du entschuldigst dich so oft für so viele Sachen, dass die Worte schon überhaupt keine Bedeutung mehr haben.«
»Was willst du denn von mir hö…«
Es klopfte an der Tür. Die Schwestern sahen sich fragend an – die Cordelles bekamen so gut wie nie Besuch.
Sie gingen an die Tür. Auf der Veranda stand ein achtjähriger Junge. Er trug Herbstkleidung – ein langärmeliges Shirt und lange Hosen –, also schwitzte er erbärmlich und keuchte so sehr, als wäre er den ganzen Weg zu ihnen gerannt.
»Ich bin Doyle. Ihr habt mir geschrieben.«
Kit trat einen Schritt vor. »Ach ja?«
»Ja.« Er hatte kräftige, dunkle Augenbrauen, die ihn finster aussehen ließen. »Ich will, dass ihr jemanden für mich umbringt.«
»Da war ich wohl zu voreilig«, sagte Kit zu Fancy und winkte den Jungen rein. Sie führte ihn auf die Schlafveranda und bot ihm einen Platz am Teetisch an.
»Wer soll sterben?«, fragte Kit, während Fancy Eistee ausschenkte.
Der Junge schüttete ihn in einem Zug in sich hinein. »Mein Patenonkel. Kent Butterman. Er schlägt mich.«
Kit zupfte an dem verschwitzten Shirt des Jungen. »Zeig mal.«
Der Junge zog das Shirt aus. Zum Vorschein kamen alle Schattierungen von Schwarz, Blau, Gelb und Grün. Und nicht nur auf Brust und Rücken. Er zog ein Hosenbein hoch und zeigte weitere Farbpaletten bis hinauf zur Hüfte.
Kit pfiff anerkennend, als er seine Kleidung wieder richtete. »Du bist echt ein harter kleiner Kerl.«
»Nicht härter als mein Pate.« Er sank auf dem Pilzhocker zusammen wir ein grimmiger Gnom. »Er schlägt mich seit einem Jahr. Seit Daddy im Gefängnis ist.« Er warf Kit einen verschwörerischen Blick zu. »Mein Daddy ist auch im Gefängnis.«
Beim Geräusch der zuschlagenden Fliegengittertür fuhr er zusammen. Er und Kit sahen zu, wie Fancy über den Hof zum Keller lief.
»Wo geht sie hin?«
»Sie holt etwas, um dir zu helfen. In solchen Dingen ist sie gut.« Kit legte »Beans and Corn Bread« auf den Plattenspieler. »Warum ist dein Dad im Gefängnis?«
»Er hat versucht, jemanden auszurauben. Es war in den Nachrichten. Aber dann hab ich diese andere Sache in den Nachrichten gesehen, über einen Jungen. Er war sechs. Seine Nachbarn haben jede Nacht gehört, wie er verprügelt wurde, aber sie haben nichts unternommen, nicht mal in der Nacht, in der er gestorben ist. Wenigstens versucht meine Patentante, was zu tun, aber dann schlägt er uns beide und nicht mehr nur mich. Ich will nicht einfach nur rumsitzen und drauf warten, dass er mich totschlägt.« Wie um seinen Standpunkt zu unterstreichen, schoss er vom Hocker hoch.
Als sie Fancy zurück zur Schlafveranda kommen sah, fiel Kit etwas ein.
»Wie viel Geld hast du dabei, Doyle?«
»Sieben Dollar.« Er gab ihr die zerknautschten Scheine.
Kit steckte das Geld ein, als Fancy mit dem Kinetoskop reinkam. Sie goss Doyle noch eine Tasse Tee ein. »Geh raus auf die Veranda und warte auf uns.«
Nachdem Doyle durch die innere Tür verschwunden war, wandte sich Kit zu Fancy und gab ihr das Geld. »Ich muss doch nicht mitkommen, oder?«
»Wie kannst du mich das fragen?«
Die Bettfedern quietschten, als Kit sich hinsetzte. »Das ist dein Ding. Wissen wir doch beide. Bei der Teegesellschaft? Bei der Talentshow? Was hab ich da getan? Nichts. Du brauchst mich nicht.« Die Worte hingen in der Luft und surrten und stachen wie
Weitere Kostenlose Bücher