Blutskinder
aber sofort wieder, und ihre Schultern sackten noch ein wenig tiefer. Dann ließ sie sich zu Boden sinken und begann zu schluchzen.
Nie war sie Robert begehrenswerter erschienen. Er ging ins Wohnzimmer, stellte seine Tasse auf einem Tischchen ab und schloss Erins schmalen, zarten Körper in die Arme. Er hob sie auf und trug sie zum Sofa hinüber. Als er ihr übers Haar strich, sah er die große Qual in ihrem Gesicht.
»Ich lasse es nicht zu«, sagte er. »Soll sie doch vor alldem weglaufen. Würdest du das an ihrer Stelle nicht auch tun?« Er war hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, Erin wegen ihrer Unvernunft von sich zu stoßen, und dem Wunsch, sie in die Arme zu nehmen und zärtlich zu küssen, seine Hände über ihren zierlichen Körper gleiten zu lassen und sie zurück ins Bett zu tragen. Stattdessen blieb er einfach ruhig sitzen.
»Ja, ich würde auch weglaufen. Gerade deshalb will ich nicht, dass Ruby es tut.« Erin wischte sich mit dem Ärmel ihres T-Shirts die Tränen von den Wangen. »Auf die Dauer bringt das nichts, das kannst du mir glauben.«
Für einen Moment kam es Robert so vor, als spräche Erin aus eigener Erfahrung. Aber wenn sie selbst etwas Derartiges in der Schule erlebt hatte, würde sie es Ruby doch bestimmt nicht zumuten wollen! Robert wurde nicht schlau aus der Sache.
»Denk noch mal darüber nach und sprich noch nicht mit Ruby«, bat er. »Vielleicht änderst du ja deine Meinung wieder.«
»Bestimmt nicht.« Erin stand auf. »Ich habe mich entschieden. Ruby kann auf keinen Fall aufs Greywood College gehen.«
Sie verharrte zögernd, als wartete sie darauf, dass Robert ein Machtwort sprach. Als er sie dort stehen sah – in seinem alten T-Shirt, mit dem Rücken zu ihm, die Beine leicht gespreizt und entschlossen aufgerichtet –, hatte Robert das Gefühl, als sei sie nicht mehr dieselbe Frau, die er vor acht Wochen geheiratet hatte. Er fühlte sich betrogen. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, um sich anzuziehen.
Das war kein Squashball, sondern ein Geschoss. Als es an seiner Brille entlangschrammte, ließ Den den Schläger fallen und rieb sich den Nasenrücken. Dann inspizierte er mit zusammengekniffenen Augen die Brillengläser.
»Setz sie doch ab!«, fuhr Robert ihn an. Auch sein nächster Aufschlag war unhaltbar. Er holte einen Ball nach dem anderen aus der Tasche und bombardierte seinen Freund mit wütenden Angriffen, bis ihm die Bälle ausgingen und er keine Kraft mehr hatte. Den zog sich an den Rand des Platzes zurück und putzte sich die Brille mit einem Zipfel seines T-Shirts. Er konnte sich Roberts seltsames Verhalten nicht erklären.
»Lässt du gerade deine Wut an mir aus?«, fragte er schließlich. »Oder hast du gestern Abend nicht bekommen, was du wolltest? Wie dem auch sei, mein Lieber, wenn du so weiterspielen willst, brauchst du auf mich nicht mehr zu zählen.«
Robert zog sein Sporthemd aus und wischte sich damit den Schweiß von Gesicht und Hals. Sein Versuch, sich beim Squash abzureagieren, hatte nichts gebracht. Jetzt tat es ihm leid, dass er eine Dreiviertelstunde lang wie wild auf den Ball eingedroschen hatte, als wäre Den gar nicht vorhanden. Normalerweise genoss er diese Squashpartien am Wochenende.
»Ich gebe dir ein Bier aus, und dann erzählst du mir, was los ist.« Den suchte seine Sachen zusammen und hielt Robert, der sich gerade das Hemd wieder überzog, die Tür auf. »Aber nur, wenn du friedlich bleibst.«
Mit versteinertem Gesicht und zusammengebissenen Zähnen ging Robert an ihm vorbei. Er umklammerte krampfhaft seinen Schläger, und seine dunklen Augen starrten ins Leere.
Auch im Umkleideraum sprach Robert kein Wort. Er ließ seine Sachen auf die Bank fallen und trat unter die Dusche. Er war sich bewusst, dass Den ihn beobachtete, dass er auf eine Erklärung für sein Benehmen wartete. Doch wenn Robert ihm jetzt von Erins Entscheidung erzählte, machte das die ganze Geschichte nur noch realer, und das konnte er im Moment einfach nicht ertragen.
Robert hatte Ruby nicht gesehen, bevor er früher als nötig zu seiner sonntäglichen Squashpartie mit Den aufgebrochen war. Er fuhr wie ein Verrückter, verfehlte nur knapp ein paar Jogger und wäre um ein Haar bei Rot über eine Ampel gebraust. Schließlich blieb er an einer Bushaltestelle stehen und grübelte über das Benehmen seiner Frau nach, bis es Zeit war, zum Sportclub zu fahren.
Beim gleichmäßigen Summen des Motors und dem leisen monotonen Geplapper aus dem Autoradio
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