Blutskinder
wirkte, war wie verwandelt. In seinem Lächeln spiegelten sich Stolz und Erleichterung. Doch Erin schien seine Begeisterung nicht zu teilen. Teilnahmslos ließ sie sich von ihm umarmen, als sei ihr gar nicht bewusst, was für ein Glück sie hatten. Ihre Tochter hatte einen Platz in einer der besten Privatschulen Londons ergattert. Jetzt war sie in Sicherheit. Doch Erin schien sich nicht im Geringsten darüber zu freuen. Besorgt ließ Robert sie los, legte ihr einen Finger unter das Kinn und blickte ihr prüfend ins Gesicht.
»Ich habe Kopfschmerzen, Robert. Ich brauche einen Drink.« Erin blinzelte gegen die Sonne und legte sich die Fingerspitzen an die Schläfen. »Da drüben ist eine Bar.« Noch bevor Robert etwas erwidern konnte, drängte sie sich zwischen den Autos hindurch und zog Ruby an der Hand hinter sich her.
»Das ist bestimmt nicht das Richtige für deinen Kopf!«, hätte Robert ihr am liebsten nachgerufen. Doch in ihrer augenblicklichen Stimmung hätte sie sowieso nicht auf ihn gehört. Aus einem plötzlichen Impuls heraus kaufte er an einem Straßenstand einen Strauß Blumen, zog sein hellgraues Jackett aus und eilte hinter den beiden her. Er konnte nicht verhindern, dass ein breites Grinsen über sein Gesicht ging. Zum Glück sieht es niemand, dachte er.
Als er die Bar betrat, waren sein Hals und sein Gesicht von einem dünnen Schweißfilm überzogen. Im Vergleich zu der drückenden, abgasgeschwängerten Luft draußen war es in dem klimatisierten Raum angenehm kühl. Es roch ganz leicht nach Bier und Zigarettenrauch. Robert warf sein Jackett über einen Hocker an der Bar und legte die Blumen vorsichtig darauf ab. Erin und Ruby hatten bereits in einer ruhigen Nische Platz genommen. Nachdem er die Getränke bestellt hatte, blickte er nachdenklich auf seine Familie, die so plötzlich und wie aus dem Nichts in sein Leben getreten war.
Ruby wirkte fröhlich, ihre Bewegungen waren lebhaft. Ganz offensichtlich hatte ihr die Aussicht, nach Greywood gehen zu dürfen, neuen Auftrieb gegeben. Wieder einmal empfand Robert leichte Gewissensbisse, weil er sie nicht eher an einer guten Schule angemeldet hatte, obwohl sie doch so außergewöhnlich musikalisch war und in ihrer derzeitigen Schule große Probleme hatte. Aber schließlich war sie nicht seine leibliche Tochter, sagte er sich. Außerdem kannte er sie erst seit sechs Monaten und war erst seit acht Wochen offiziell ihr Stiefvater. Deshalb hatte er bisher kein Recht gehabt, sich in Rubys Erziehung einzumischen.
Während Robert dem Barkeeper einen Zwanziger reichte, betrachtete er Ruby in der Spiegelwand hinter der Theke. Selbst wenn sie sein eigen Fleisch und Blut gewesen wäre, hätte sie ihm nicht mehr bedeuten können. Sie war wirklich etwas Besonderes und wie alle Kinder eine Meisterin in der Kunst, das Herz ihrer Eltern im Sturm zu erobern. Und Ruby brauchte so dringend einen Vater!
Robert steckte das Wechselgeld ein, klemmte sich den Blumenstrauß unter den Arm und trug die Getränke zum Tisch.
Mit den Worten »Für ein kluges Mädchen« überreichte er seiner lächelnden Stieftochter die Blumen. Dann gab er ihr das Glas mit dem Fruchtcocktail. »Auf Ruby und ihre Zukunft«, prostete er ihr so laut zu, dass sich ein paar Köpfe nach ihnen umdrehten. Er wollte auch mit Erin anstoßen, doch sie beachtete ihn gar nicht. Mit zwei Zügen kippte sie ihren Drink hinunter, dann entschuldigte sie sich knapp und zwängte sich aus der Bank.
Sie ging zur Theke und bestellte sich noch einen doppelten Jack Daniel’s. Einen Fuß auf die Stange gestützt, stürzte sie den Whisky wie lauwarmen Kaffee hinunter. Dabei fuhr sie sich nervös mit den Fingern durch das blonde Haar.
Robert fand das Verhalten seiner Frau befremdlich, sagte jedoch nichts, um Ruby nicht den Tag zu verderben. Er hielt ihre Hand und spielte mit ihren Fingern, während das Mädchen aufgeregt über ihre neue Schule plapperte. Gleichzeitig fragte er sich, worüber sich seine Frau wohl so aufregte. Als er sah, dass sie sich einen weiteren Drink bestellte, unterbrach er Rubys Redeschwall und trat zu Erin an die Bar. Er legte ihr den Arm um die Taille und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ohne sich um ihn zu kümmern, kippte Erin den Whisky hinunter, dann wandte sie den Kopf und schaute ihren Mann an.
»Ach, Scheiße«, sagte sie nur.
Robert wich ein wenig zurück, als ihm ihr Whiskyatem ins Gesicht wehte.
»Alles Scheiße.« Sie starrte ihm in die Augen. »Manchmal – nur manchmal – möchte
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