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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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Haus. Robert betrat die Küche und sah, dass die Arbeitsflächen mit schmutzigem Geschirr vollgestellt waren. Die frisch gewaschene Wäsche in einem Korb duftete süß. Aus dem eingeschalteten Radio drang ein leises Summen. Vielleicht war dies das Geräusch gewesen? Er schaltete das Gerät ab, doch das Stöhnen hielt an.
    »Erin?«, rief er. Keine Antwort. Er goss sich ein Glas Wasser ein und ging ins Wohnzimmer. Es war leer. Vielleicht fühlte er sich ja wegen seiner klammen Kleider so unbehaglich. Oder das ungewohnte Bier war daran schuld, dass er sich Geräusche einbildete.
    Er ging nach oben, um sich umzuziehen. Doch hier war das Brummen so laut, dass plötzlich sein ganzer Körper vibrierte.
    Es kam aus Rubys Zimmer. Robert klopfte einmal kurz an und trat ein.
    Er brauchte einen Augenblick, um zu erfassen, was er sah. Die Luft im Zimmer war schal und abgestanden. Die Vorhänge waren zugezogen, und es brannte keine Lampe. Doch als sich Roberts Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, entdeckte er Ruby. Splitternackt saß sie in einer Ecke und stöhnte unablässig. Das schwarze Haar fiel ihr in verschwitzten Strähnen über die Schultern und ihr ganzer Körper zitterte, als würde er vom Vibrieren ihrer eigenen Stimme erschüttert. Sie nahm Robert gar nicht wahr.
    »Ruby?« Robert ging langsam auf sie zu. »Hör auf damit, Ruby!« Er streckte eine Hand nach ihr aus, besann sich dann aber und griff nach ihrem Morgenmantel, der an einem Haken an der Tür hing. Er hielt ihn ihr hin, doch sie reagierte nicht. Nur das Stöhnen und Wehklagen ging weiter.
    Robert legte ihr den Morgenmantel um die Schultern, doch er rutschte wieder hinunter. Als Robert sich bückte, um ihn aufzuheben, bemerkte er, dass Ruby Gänsehaut hatte. Im selben Augenblick stieg ihm ein eigenartiger metallischer Geruch in die Nase, und da sah er auch schon das Blut an der Innenseite ihrer Oberschenkel.
    »Ruby, du blutest ja!«, sagte Robert, ging vor dem Mädchen in die Hocke und schaute ihm eindringlich ins Gesicht. Ihre Augen glänzten wie Glas, und die Pupillen waren riesengroß. Plötzlich erschien es ihm gleichgültig, dass sie nackt und blutverschmiert war. Rasch hob er sie hoch und legte sie aufs Bett. Wie erstarrt lag sie da; das unheimliche Stöhnen war in ein stetiges leises Wimmern übergegangen. Wie so oft, hielt sie den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet, auf den Ort ihrer Träume.

5
    D
    en ganzen Abend saß Robert allein im Wohnzimmer, seinen Laptop auf den Knien und die Akte eines Mandanten aufgeschlagen vor sich auf dem Tisch. Er versuchte zu arbeiten, doch er konnte an nichts anderes denken als an seine verzweifelte Stieftochter und natürlich an Erin – die Frau, die an dieser Verzweiflung schuld war.
    Über den Fernsehbildschirm flackerten Bilder ohne Ton und warfen bunte Lichtreflexe auf die Wände. Robert starrte mit leeren Augen auf die blassgelb gestrichene Wand, warf hin und wieder einen Blick auf die herzzerreißenden Briefe, die die Frau seines Mandanten geschrieben hatte, und wartete mit wachsender Ungeduld darauf, dass Erin nach Hause kam.
    Er hatte sie auf ihrem Mobiltelefon angerufen, doch nur die Mailbox erreicht. Sie hielt sich bei keiner ihrer Freundinnen auf, und falls sie in ihrem Laden war, würde sie nicht ans Telefon gehen. Als Ruby endlich wieder in der Lage gewesen war zu sprechen, konnte sie ihm auch nicht sagen, wohin ihre Mutter gegangen war.
    Erst als der verregnete Nachmittag in den Abend überging, hatte sich das Mädchen einigermaßen erholt. Die ganze Zeit über war Robert nicht von ihrer Seite gewichen. Er hatte ihr über den steifen Rücken gerubbelt, sie in eine warme Decke eingepackt und ihr einen Becher heißen Tee an die Lippen gehalten. Er hatte nicht zu fragen brauchen, was los war. Das wusste er auch so.
    Robert zog die Schuhe aus und legte die Beine aufs Sofa. Er fühlte sich erschöpft – von seinem wilden, rücksichtslosen Squashspiel, dem Trinken am frühen Nachmittag, von Erins unverhofftem Sinneswandel, aber vor allem von seinem schlechten Gewissen. Er hätte bei Ruby bleiben müssen.
    Er deckte sich mit einer Felldecke zu. Normalerweise war er durchaus fit und stolz auf seinen ansehnlichen, sportlichen Körper, dem man die achtunddreißig Jahre nicht ansah. Besonders freute er sich über Erins anerkennende Blicke, wenn er sich abends auszog. Heute jedoch fühlte er sich zehn Jahre älter.
    Immer wieder stellte er sich Rubys Gesicht vor, in dem Moment, als ihre Mutter ihr

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