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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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könnte Ihnen Ihre Zukunft vorhersagen!, rufe ich ihm im Stillen zu, aber er kann mich nicht hören.
    Ich könnte Ihnen auch meine Zukunft vorhersagen. Aber ich tue es nicht, und als ich beim nächsten Schwung wieder hinschaue, sind die beiden verschwunden.
    Ich springe ab und gehe zurück zur Bank. Auf meinem Platz sitzt eine Frau, aber sie lächelt und rückt ein Stück. Sie riecht nach Bratfett und Zigaretten. Ein schmutziger kleiner Junge zupft quengelnd an ihrem Ärmel, während sie damit beschäftigt ist, ein sich windendes Baby wieder in den Kinderwagen zu legen. Der Wagen ist alt und sieht aus, als hätte er schon zahlreiche Kinder befördert. Seine graue Stoffbespannung hat am Rand Flecken wie von Erbrochenem oder verschmiertem Essen. Es ist kein besonders schöner Kinderwagen, und der kleine Junge hat offene Schnürsenkel und Schorf an den Knien, an dem er herumgepult hat.
    »Verdammt noch mal, Nathan. Hör auf damit!« Die Frau ist dünn und wirkt erschöpft. Damit passt sie gut zu dem Kinderwagen. Jetzt, wo das Baby flach auf dem Rücken liegt, brüllt es ununterbrochen. Die Mutter wirft mir einen entnervten Blick zu; offensichtlich möchte sie ein bisschen bemitleidet werden.
    »Ist es eine kleine Nervensäge?«, frage ich. Ich muss mich räuspern, weil mir ein Kloß im Hals sitzt – vor Kummer und weil ich heute noch kein Wort gesprochen habe.
    »Schrecklich, die zwei.« In diesem Augenblick kreischt ein Vogel. Als er mit klatschenden Flügelschlägen aus der Baumkrone über uns auffliegt, zucken wir unwillkürlich zusammen.
    »Haben Sie nur die beiden?« Ein Junge und ein Mädchen, vermute ich, da der Säugling rosa angezogen ist.
    »Noch drei andere. Die gehen schon zur Schule«, antwortet sie, holt eine Packung Zigaretten aus dem Netz am Kinderwagen und zündet sich eine an. Sie bläst dem Baby den Rauch ins Gesicht. »Haben Sie auch welche?«, erkundigt sie sich dann. Nathan tritt gegen das Rad des Kinderwagens, worauf das Baby erneut zu schreien anfängt.
    »Nicht!«, protestiere ich, als die Frau Nathan einen Klaps auf die Beine gibt. Ich sehe, wie das Baby in seinem rosafarbenen Schlafanzug mit den Beinchen strampelt, und denke, dass sie es eines Tages ebenfalls schlagen wird.
    »Ich muss mal.« Nathan hampelt von einem Bein aufs andere und fasst sich dabei mit einer Hand in den Schritt. Sein Gesicht ist ganz rot, und vorn auf seinen Shorts bildet sich schon ein feuchter Fleck.
    »Ach verdammt, Nathe! Du bist doch gerade erst gewesen.« Die Frau schaut abwägend zu dem Toilettenhäuschen am anderen Ende des Spielplatzes hinüber. Dann sagt sie: »Stell dich einfach hinter einen Baum. Ich muss bei Jo-Jo bleiben.«
    Nathan schüttelt den Kopf und deutet stumm auf seinen Hosenboden. Seine Wangen sind mittlerweile vor Anstrengung puterrot. Die Frau packt ihn unsanft beim Arm, gräbt ihre Finger hinein, und mir ist, als würde sie mein Herz zusammenpressen.
    »Kann ich vielleicht behilflich sein?«, frage ich sie.
    Die Frau verharrt in ihrer Bewegung, schaut auf den Kinderwagen und überlegt, während Nathan immer noch wie verrückt herumzappelt. »Sie könnten mal kurz auf sie aufpassen. Es dauert nicht länger als ’ne Minute.« Sie wirft ihre Zigarette auf den Boden, ohne sie auszutreten. Unter Jo-Jos Wagen kräuselt sich der Rauch.
    »Ja, sicher«, sage ich. Ich fasse nach dem Griff des Kinderwagens und schaukele ihn leicht hin und her. Das Baby hört auf zu schreien und stößt verdutzte Laute aus, so als sei es noch nie zuvor geschaukelt worden. Die Frau zerrt Nathan über den Spielplatz und verschwindet mit ihm in dem graffitibeschmierten Betonhäuschen.
    »Aber, aber …« Ich beuge mich über den Wagen und schaue Jo-Jo an. Eine Sekunde lang ist sie ganz still und schenkt mir ein vages zahnloses Lächeln. Dann steckt sie sich die Faust in ihr weiches Mündchen. Als sie das Kinn hebt, bemerke ich den Schmutzrand an ihrem Hals. Ich greife in den Kinderwagen und fasse unter ihre Ärmchen. Ihr Kopf wackelt ein wenig hin und her, bevor sich ihr ganzer Körper versteift und sie mich aufmerksam betrachtet. Ich spähe zum Toilettenhäuschen hinüber.
    Nur eine Minute, hat sie gesagt.
    Ich presse Jo-Jo an mich. Sie riecht nach saurer Milch, und ich merke, dass ihre Windel voll ist.
    »Du musst dringend gewickelt werden, meine Kleine«, sage ich zu ihr.
    Nur eine Minute.
    Ich stehe auf. Meine Beine gehören mir nicht mehr. Ich höre Natasha weinen. Niemand beachtet mich. Jo-Jo sabbert mir auf den

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