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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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keine Antwort. Also traten sie einfach ein.
    »Anscheinend hält sie sich noch irgendwo im Gebäude auf.« Robert zeigte auf den weißen Pullover, der über der Stuhllehne hing, auf die Tasse mit dampfend heißem Tee und die Handtasche auf dem Boden. Der Computer war eingeschaltet.
    »Lass mich mal ran.« Louisa klickte sich rasch durch ein paar Ordner. In weniger als einer Minute hatte sie das Schülerver­zeichnis ausfindig gemacht. Robert stand währenddessen in der Tür und hielt Wache.
    »Wie heißt er mit Nachnamen?«
    Robert zuckte mit den Schultern, den Blick unverwandt auf den Korridor gerichtet. »Weiß der Himmel. Kannst du nicht einfach nach Art suchen? Er ist mit einem Stipendium hier.«
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Grinsend öffnete Louisa eine Liste mit Schülern, die finanzielle Zuschüsse erhielten. Sie umfasste etwa dreißig Namen. »Art Gallway, 23 Meakin Avenue.« Louisa notierte die Adresse auf einem Zettel und stellte die ursprüngliche Bildschirmansicht wieder her.
    »Oh«, sagte die Sekretärin überrascht. Sie wollte gerade mit einem Arm voll Akten eintreten, doch Robert blieb in der Tür stehen und versperrte ihr so den Weg.
    »Entschuldigen Sie bitte, dass wir einfach in Ihr Büro eingedrungen sind«, zwitscherte Louisa und schob Robert beiseite. Dabei steckte sie unauffällig den Zettel in ihre Schultertasche. »Wir haben uns nach Schulprospekten umgesehen. Haben Sie noch welche?«
    Nachdem sich die Sekretärin mit einem raschen Blick auf die Hände der beiden versichert hatte, dass sie nichts gestohlen hatten, brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. »Natürlich«, sagte sie und reichte ihnen von einem Ständer in der Ecke ein paar Broschüren.
    Als Robert und Louisa fort waren, nahm die Sekretärin an ihrem Schreibtisch Platz. Sie stellte fest, dass der Stuhl noch warm war.

    Während Louisa die Adresse in das Navigationsgerät eingab, fuhr Robert so rasant vom Schulparkplatz, dass er um ein Haar einen großen Lieferwagen gerammt hätte.
    »Du mich auch!«, brüllte er den Fahrer an und wendete mit einer weiten U-Kehre. Dann sagte er in seiner normalen Stimme: »Natürlich wissen wir nicht, ob sie wirklich bei Art ist. Wenn nicht, geht’s weiter nach Brighton.«
    Zwanzig Minuten lang fuhren sie durch London, bis sie südlich der Themse in eine Gegend kamen, die sie beide nicht kannten. Vor rund hundert Jahren war die breite Meakin Avenue wahrscheinlich eine begehrte Wohngegend gewesen, doch mittlerweile sahen die Häuser aus der Zeit König Edwards baufällig und heruntergekommen aus.
    »Hier solltest du dir eine Immobilie kaufen«, sagte Louisa, während sie die einstmals hochherrschaftlichen Gebäude betrachtete. »Ernsthaft«, fügte sie hinzu, obgleich ihr klar war, dass Robert zurzeit alles andere im Sinn hatte als Geldanlagen. »Da, Nummer dreiundzwanzig.« Sie zeigte auf ein Haus, dessen hohe Fenster von hunderten von Kerzen erleuchtet waren. Ihre Flammen waren in der Mittsommersonne fast nicht zu erkennen.
    Heute ist der längste Tag des Jahres, dachte Robert. Und der längste Tag meines Lebens. Sie stellten den Wagen ab, gingen über den kurzen, unkrautüberwucherten Weg zum Haus und hämmerten an die Eingangstür.
    »Überrascht mich nicht«, bemerkte Robert, als niemand öffnete. Die Musik drinnen war so laut, dass die Fenster klirrten und das ganze Haus förmlich in seinen Grundfesten bebte. Das Stimmengewirr ließ darauf schließen, dass die Party bereits in vollem Gange war. Als Robert versuchsweise die Klinke niederdrückte, stellte er fest, dass sich die Tür problemlos öffnen ließ.
    Dicht gefolgt von Louisa trat er in die schummrige Diele. Nur mit Mühe bahnten sie sich einen Weg durch die zahlreichen Menschen, die überall herumstanden oder mit dem Rücken an der Wand auf dem Fußboden saßen. Andere lümmelten auf den Treppenstufen herum, tranken aus Dosen, rauchten Joints und beachteten die Neuankömmlinge nicht weiter.
    Bei diesem Lärm nach Ruby zu rufen, war zwecklos. Während sie weiter ins Innere des Hauses vordrangen, hätte sich ein Teil von Robert am liebsten einen Drink und einen Joint geschnappt, sich unter die Feiernden gemischt und Erin für immer vergessen. Er griff hinter sich, tastete nach Louisas Hand.
    Erin vergessen – das hätte er nicht einmal für eine Sekunde fertiggebracht.
    »Weißt du, wo Art ist?«, schrie Robert einem Jugendlichen zu, der sich auf ein schmutziges Sofa gefläzt hatte. Der Junge grinste nur einfältig

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