Blutskinder
Kragen und ich höre, wie sie an ihrem eigenen Fäustchen herumschmatzt.
Dieses Weinen. Immer noch höre ich Natasha weinen und werfe erneut einen Blick zu den Toiletten hinüber. Durch die Baumkrone über uns tröpfelt Sonnenlicht aufs Gras. Ich drücke meinen Fuß auf den glimmenden Zigarettenstummel der Frau. Natasha schreit und schreit. Um dem Lärm zu entfliehen, renne ich mit der erstaunten Jo-Jo auf dem Arm über den Spielplatz davon.
29
R
uby nippte an ihrer heißen Schokolade, und zu einem anderen Zeitpunkt hätte Robert eine witzige Bemerkung über ihren braunen Milchbart gemacht. Doch er traute sich kaum zu atmen, aus Angst, Ruby könnte sich unvermittelt in Luft auflösen.
Er fragte sie noch einmal: »Deine Mama ist also in Brighton?« Das hätte er sich auch denken können.
Ruby nickte, die Hände um den Becher gelegt.
»Und du bist um ein Uhr in Victoria Station angekommen?«
Wieder ein Nicken. Das Haar hing ihr in fettigen Strähnen ums Gesicht.
»Was hast du dann in der letzten Stunde gemacht?«
Ruby trug ihren Becher zum Spülbecken und ließ ein wenig kaltes Wasser hineinlaufen. »Einfach nur dagesessen. Ich hab nachgedacht und so.« Sie sank wieder auf ihren Stuhl und schien kaum den Willen aufbringen zu können, den Becher an ihre Lippen zu fuhren. »Und Art angerufen.«
»Du hast also einfach nur so nach Mitternacht in London rumgesessen?« Robert mochte gar nicht darüber nachdenken, was ihr hätte zustoßen können. »Ist sich deine Mutter überhaupt darüber im Klaren, was für Sorgen ich mir um euch beide gemacht habe?« Das war noch untertrieben. »Und sie wird sich jetzt Sorgen um dich machen.«
»Ich habe bei Baxter eine Nachricht hinterlassen.« Rubys Stimme war ganz ruhig, doch sie ließ den Kopf so tief hängen, dass ihre Stirn beinahe die Tischplatte berührte.
Robert legte ihr einen Finger unter das Kinn und versuchte, ihr Gesicht anzuheben. »Warum habt ihr mich verlassen?«
Ruby zuckte die Achseln. »Es war Mamis Idee. Ich wollte nicht.« Auf einmal war sie wieder ein Kind, das die Schuld für ein Unrecht auf andere abwälzte.
»Und, hat deine Mami auch gesagt, warum?«
Ruby seufzte. »Sie meinte, wir würden Ferien machen. Aber als wir dann bei B axter waren, habe ich gehört, wie sie darüber sprachen, dass wir uns eine Wohnung suchen sollten und Mami einen Job. Sie sagte so was wie ›zum letzten Mal weggelaufen‹.« Ruby hob den Kopf; ihre Augen schwammen in Tränen. »Schöne Ferien. Wir sind noch nicht mal am Strand spazieren gegangen, und Geld für Eis habe ich auch nicht gekriegt.«
»Es sollte also auf Dauer sein? Mami und du, ihr seid endgültig weggegang en?« Plötzlich wünschte er, Ruby wäre nicht wiedergekommen. Dann hätte er noch einen Funken Hoffnung gehabt.
»So endgültig, wie bei uns überhaupt etwas sein kann.« Schweigend trank Ruby das Wasser aus.
Es war vier Uhr morgens, als Louisa eintraf. Am Telefon hatte sie zu Robert gesagt, dass es wenig Sinn hätte, wenn sie vorbeikäme, aber um diese nachtschlafende Zeit hatte sie seinen Überredungskünsten wenig entgegenzusetzen. Außerdem wollte er ihr die Zeit extra bezahlen.
»Ruby ist im Bett.« Robert hatte sie fest zugedeckt. Es war, als müsste er sie in Sicherheit bringen, damit sie ihm niemand mehr wegnehmen konnte. Sie war die einzige Verbindung zu seinem normalen Leben, das schon furchtbar weit zurückzuliegen schien.
»Ich glaube, ihr gefällt die ganze Sache genauso wenig wie dir.« Louisa spielte mit ihrem Ehering. »Indem sie zurückgekommen ist, hat sie deutlich gemacht, wo sie leben will.«
»Versuch das mal ihrer Mutter beizubringen.« Robert wusste nicht, ob er Louisa etwas Alkoholisches oder Tee oder Frühstück anbieten sollte. Im Osten begann sich der Himmel aufzuhellen.
»Was soll ich denn genau machen?« Louisa warf einen Blick auf ihr Handgelenk, musste jedoch feststellen, dass sie ihre Uhr im Hotelzimmer liegengelassen hatte. »Um diese Zeit«, setzte sie hinzu.
»Nichts.«
»Du willst mich dafür bezahlen, dass ich hier am frühen Morgen nichts tue?«
»Ja, du kannst mir beim Warten Gesellschaft leisten.« Als sie ihn verständnislos anblickte, fügte er hinzu: »Auf die Ergebnisse des DNS-Tests.«
Sie tranken Kaffee. Dann ging Robert zum Herd und verquirlte ein paar Eier. Louisa, die mit dem Rücken zu ihm saß, sagte: »Dir ist doch wohl klar, dass die Schwierigkeiten erst richtig losgehen, falls sich herausstellt, dass Erin nicht Rubys leibliche Mutter
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