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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hayes
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erholen, während dieses Mädchen meinen Laden hütet?« Sie zupfte weiter an ihrem Fisch herum, ohne einen Bissen zu essen.
    »Sie wird es schon schaffen, einen Tag lang Blumen zu verkaufen.«
    »Aber sie schafft es nicht, einfache Dokumente aufzutreiben, obwohl das doch wohl zu ihrer täglichen Arbeit gehört.« Erin lächelte ihrer Tochter zu, die gerade wieder ihren Platz am Tisch einnahm.
    »Kann ich ein Dessert bekommen?«, fragte Ruby Robert, scheinbar in der Hoffnung, dass er es eher erlauben würde als ihre Mutter.
    »Sicher«, antwortete er abwesend. An Erin gewandt, sagte er: »Es ist nicht Tanyas Schuld.« Er hatte die Stimme gesenkt, denn er wollte die Angelegenheit nicht in Rubys Gegenwart besprechen. Dennoch konnte er sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Wie ich schon sagte, es gibt keine entsprechenden Unterlagen beim Standesamt.«
    Ruby wurde hellhörig. »Geht es um meinen Pass, damit ich nach Wien fahren kann?« Sie rutschte auf dem Stuhl hin und her und griff nach der Dessertkarte.
    Robert nickte. »Keine Sorge, ich kriege das schon hin.«
    »Ja, mein Schatz. Er hat den Fall schon seiner Super-Sekretärin übergeben.« Erin wischte sich den Mund mit der Serviette ab und erhob sich. »Du kannst ihr sagen, sie braucht sich keine Mühe zu machen, Robert. Ruby fährt nicht nach Wien.«
    Erin verließ abrupt den Raum. Robert schaute ihr mit starrem Blick nach, um nicht Rubys enttäuschte Miene sehen zu müssen.
    »Wie wäre es mit einem großen Schokoladeneis?«, fragte er schließlich, wohl wissend, dass es für Ruby nicht der geringste Trost sein würde.

    Erin saß gegen die Kissen gelehnt im Bett und las in einem Buch. Im Zimmer roch es leicht nach Gesichtscreme und Kräutertee. Robert warf seine Schlüssel und die Brieftasche auf die Frisierkommode und streifte die Schuhe ab. »Sie ist im Bett«, sagte er.
    Erin legte das Buch mit dem Rücken nach oben neben sich. Robert warf einen Blick auf den roten, geprägten Einband – es war die hoteleigene Bibel.
    »Liest sich’s gut?«
    »Spannend. Du solltest sie auch mal lesen.« Erin löschte die Nachttischlampe und kuschelte sich unter das Federbett, obwohl die Luft im Zimmer feuchtwarm war.
    »Ich sagte, sie ist im Bett. Falls es dich interessiert.« Robert zog sein Hemd aus und ging ins Bad. Er putzte sich die Zähne, spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und sah in den Spiegel. Seine Züge wirkten angespannt – vielleicht kam es vom kalten Wasser, vielleicht lag es aber auch an dem wachsenden Argwohn, der an ihm nagte.
    »Danke.« Ihre Stimme klang gedämpft unter der Decke hervor. Robert verstand Erins Verhalten nicht. Sonst gab sie Ruby doch immer einen Gutenachtkuss! Er trat ans Bett und zog die Decke weg. Seine Frau lag zusammengerollt wie ein Embryo da. Trotz ihres Schlafanzugs konnte er sehen, wie verkrampft ihr ganzer Körper war.
    »Was machst du nur mit dem Mädchen?«, fragte er. »Gerade hat sie die erste Woche in einer neuen Schule hinter sich, was übrigens nicht dein Verdienst ist, und jetzt legst du ihr in Bezug auf die Fahrt nach Wien schon wieder Steine in den Weg.«
    Robert wandte sich ab. »Du weißt doch, dass ich für die Reise aufkomme, falls es das ist, was dir Sorgen macht.«
    Die Stille lag schwer im Raum. Nur von ferne, vom anderen Ende des Hotels, hörte man das leise Stimmengewirr der Gäste, die sich noch in der Bar aufhielten. Wie eine schwere Daunendecke lastete die warme Nachtluft auf Erin und Robert. Mit einem Seufzer setzte er sich auf den Bettrand und versuchte, Erin wieder zuzudecken, doch sie stieß die Decke mit den Füßen fort. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein.
    »Soll ich dich mal daran erinnern, worum es hier geht?« Robert kramte in der Reisetasche nach seinem iPod, den er für seine morgendliche Joggingrunde mitgebracht hatte. In Louisas Leben gab es wohl kaum einen Tag, an dem sie nicht vor dem Frühstück gelaufen war, ging es ihm durch den Kopf. Er tippte sich durch das Menü und steckte dann Erin die Kopfhörer ins Ohr. Als Rubys Klavierspiel erklang, begannen ihre Lippen zu zittern. Sie schloss die Augen.
    Robert kannte das Stück in- und auswendig. Ruby hatte ihm den Titel »Flucht« gegeben. Robert würde niemals vergessen, wie Ruby ihm voller Stolz von ihrer Komposition erzählt hatte. Das Stück, so hatte sie ihm erklärt, handelte vom Weglaufen und davon, dass man alles stehen und liegen ließ und sein altes Leben einfach aufgab. Es war eine außergewöhnliche

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