Blutskinder
Tür wieder zuschlägt, sieht er mich scharf an. Weil ich so schwanke, glaubt er bestimmt, ich wäre betrunken mit einem Baby unterwegs.
Dann merke ich nur noch, wie ich nach hinten kippe und mit dem Hinterkopf auf das Pflaster schlage. Danach ist alles dunkel und still.
Später – wann genau, weiß ich nicht – versucht mir jemand die Augenlider hochzuschieben, aber ich kann nichts erkennen, weil mich das Licht von der Lampe, die an der Decke hängt, furchtbar blendet.
»Wach auf! Nun werd schon wach!«
Mit einem Ruck richte ich mich auf. Mir fährt ein stechender Schmerz durch den Schädel. Hektisch taste ich nach Ruby.
»Wo ist mein Baby?« Ich fange hysterisch an zu schreien. In meinem Mund ist der Geschmack von Blut. Und von meiner eigenen Angst.
16
R
obert saß in seinem Drehstuhl und hatte die Füße auf die lederbezogene Schreibtischplatte gelegt. Er war direkt von Louisas Hotel in sein Büro gefahren. Wahrend Louisa unter der Dusche stand, hatte er in ihrem Zimmer eine Tasse Kaffee getrunken, in der Kanzlei angerufen und Erin eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Als Louisa in einen hoteleigenen Bademantel gehüllt und in einer Wolke von Orangenduft ins Zimmer trat, verabschiedete sich Robert nur widerstrebend von ihr. Sie versprach ihm, ihn am nächsten Morgen anzurufen.
Seit er am Tag zuvor nach Brighton aufgebrochen war, hatte er sich nicht wieder zu Hause sehen lassen. Er hatte die Nacht im Büro verbracht und trug noch die Kleidung vom Vortag. Es war, als gäbe es seine Familie gar nicht mehr, als hätten Baxter Kings Worte sie aus seinem Leben getilgt.
Seine Frau war eine billige Nutte gewesen – Robert versuchte, diese Tatsache mit der gleichen professionellen Sachlichkeit zur Kenntnis zu nehmen, mit der er seine Fälle anging. Doch wie er es auch drehte und wendete, eines war sicher: Erin hatte ihn betrogen. Er wollte und musste die Wahrheit aus ihrem eigenen Mund hören.
Obwohl er vor lauter Schlafmangel und zu viel Koffein schon ganz aufgedreht war, wies Robert Tanya durch die Wechselsprechanlage an, noch mehr Kaffee zu kochen und ihm auf der Stelle die Bowman-Akte zu bringen. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, kam ihm Jeds Fall gerade recht.
»Sie sehen ziemlich erledigt aus, Mr Knight«, sagte Tanya, als sie die Unterlagen brachte. Statt wie üblich zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden trug sie ihr Haar heute offen.
»Hab die Nacht durchgemacht, Tan«, antwortete Robert mit müder Stimme. Er konnte sich vorstellen, wie sein Stoppelbart, das zerzauste Haar und die verknitterten Kleider auf seine Sekretärin wirken mussten. Außerdem roch er nicht besonders gut, aber das war ihm inzwischen gleichgültig. »Keine Anrufe, keine Besucher, keine Störungen. Verstanden?«
Tanya nickte und ging.
»Und bringen Sie mir noch Kaffee!«
Robert schlug die Bowman-Akte auf und starrte zehn Minuten lang auf die erste Seite, ohne ein Wort zu lesen. Dann erhob er sich und ging ans Fenster. Er lehnte sich mit der Stirn an die Scheibe und schaute auf die Straße hinunter. Ob all die Leute, die dort unten vorübereilten, auch Probleme hatten? Sehr fröhlich sahen sie jedenfalls nicht aus, dachte er.
Dann musste er an Mary Bowman denken, die schluchzend hier in seinem Büro gesessen hatte. Sie habe nicht mehr die Kraft, um ihre Kinder zu kämpfen, hatte sie erklärt. Sie war bereit, Jed vor Gericht gewinnen zu lassen, nur damit die Sache endlich ein Ende nahm und sie keine Prügel mehr einstecken musste, so wie fast an jedem einzelnen Tag ihrer elfjährigen Ehe. Sie gab zu, dass sie mit Jeds Bruder geschlafen hatte. Nur ein einziges Mal, weil sie sich so verzweifelt nach Trost und Zuneigung gesehnt hatte. Und nach ein wenig Liebe, die sie von Jed nie bekommen hatte.
Als Jed dahinterkam, schlug er seine Frau halb tot. Seinem Bruder dagegen verzieh er. Er brachte sogar Mitgefühl für ihn auf, weil die verdorbene Mary Bowman ihn verführt hatte. Aber etwas Gutes wusste Mary doch über ihren Mann zu berichten. Ihr verschwollenes Gesicht in beide Hände gestützt erzählte sie, dass Jed ihr, als es ihr einmal besonders dreckig ging, ein Mittel mitbrachte, das er dem Bekannten eines Bekannten abgekauft hatte. Wenn sie das brav einnahm, würde er sie in Ruhe lassen, versprach er ihr. Mittlerweile war Mary vom Valium abhängig, doch Jed ließ sie noch immer nicht in Ruhe.
Die nächste Stunde verbrachte Robert damit, sich eine Verteidigungsstrategie für seinen vulgären Mandanten
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