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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Haftbefehl. Ich möchte Sie darüber belehren, dass Sie zu den Vorwürfen keine Stellung zu nehmen brauchen. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern und jederzeit einen Rechtsbeistand zu konsultieren.«
    Aus dem Nebenzimmer kommt die Frau im Morgenmantel mit dem Kind auf dem Arm. Blass, klein, verschüchtert. Er hat keinen Blick für sie.
    »Das kann sich doch alles nur um einen Irrtum handeln.«
    »Nein, Herr Michels, wir machen keine Scherze, und das ist auch kein Irrtum. Ich darf Sie bitten, etwas Wäsche und eine Zahnbürste mitzunehmen, Sie werden im Laufe des Tages dem Haftrichter vorgeführt.«
    Na, was geht in deinem Schädel vor? Fragst du dich, welche Reaktion die richtige ist, um glaubwürdig zu wirken? Wütender Protest? Zurückhaltendes Entsetzen? Was kommt gut an? Du weißt nicht, was wir gegen dich haben, schwierige Situation.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, und weiß auch nicht, wie Sie darauf kommen, aber das wird sich sicherlich alles aufklären.« Hoffnungsvoll, aber fassungslos.
    Gute Lösung. Ist ein cleveres Kerlchen.
    Er geht ins Bad, Ernst hinterher. Die Frau guckt mit panischem Unverständnis in der Gegend rum, kriegt keinen Ton raus, das Kind spielt mit dem Kragenzipfel ihres Morgenmantels. Sie kommen wieder, noch einmal ins Schlafzimmer, fertig.
    »Ruf bitte Johann Müller an und informiere ihn.«
    Wird nicht nötig sein, Junge. Dein Chef hat auch Besuch, der weiß Bescheid.
    Er verabschiedet sich mit flüchtigem Kuss, das Kind fasst er nicht an. Er geht Richtung Tür, kurzer Blick, dann doch noch ein Streichler für das Kind.
    Was war das denn jetzt für eine Aktion?
    Er soll sich an die Wand stellen, Ernst tastet ihn ab, fühlt, was in den Taschen ist.
    »Fesseln?«
    »Nicht nötig. Ich setze mich daneben.«
    Er öffnet die Tür, Beckmann und Binz kommen mit ihrem Gepäck, machen den Weg frei.
    Die Straße ist leer, von den Nachbarn bekommt keiner was mit.
    Es wird langsam hell.

09 Uhr 52
    Diese Augen.
    Weichliche Visage. Passt gar nicht dazu. Früher Zehnkämpfer gewesen, sieht man. Steht noch gut in den Schuhen für sein Alter. Groß, aber nicht zu groß, breite Schultern, scheint auch was in den Armen zu haben. Aber das braucht man ja auch, wenn man nachts hin und wieder tote, alte Kerle durch die Gegend schleppen muss.
    Diese verschlagenen Augen.
    Beine übereinander, Hände im Schoß, gestikulieren hin und wieder. Er spricht ruhig, fast lässig manchmal. Schwer zu sagen, was er denkt. Hat wirklich was von einem Fünfziger-Jahre-Schauspieler mit dieser Frisur. Er macht auf kooperativ mit einer Spur Leiden, Flehen um Verständnis mit unterschwelligen Schuldzuweisungen. Macht er aber nicht zu auffällig, sehr dezent. Maske. Alles Maske. Haben wir damals in Psychologie lange drüber gestritten. Verbergen Masken unser eigentliches Ich oder sind sie Teil des Ichs? Michels, hm? Sag mal. Wenn du unser Mann bist, sagt dann diese Familiennummer was über dich aus? Christlich engagierter, fleißiger Familienvater mit Doppelhaushälfte, Schwiegereltern im Nebenhaus, mit sauberem Vorgarten. Schlimmer geht’s ja kaum noch. So’n Leben kann man doch nicht nebenbei führen, als Maskerade. Es sei denn, es ist ein Teil von ihm, ein wirklicher Teil. Masken sind Teile des Ichs. Und der, der die Opas tötet und nackt in den Dreck legt, ist ein anderer Teil. Aber den muss er verstecken, den Teil. Das ist das Problem.
    Diese verdammten Augen.
    Bringt alte Säcke um. Und warum? Ist es geil, die leiden zu sehen? Und alte Kerle deshalb, weil es vor zwanzig Jahren mal gut geklappt hat? So ähnlich wie beim Rauchen. Wenn die erste Kippe morgens nach dem Kaffee mal gut geschmeckt hat, macht man das immer wieder, auch wenn es Krebs erregt oder manchmal richtig scheiße schmeckt. Man macht es. Haben sich wahrscheinlich ein paar Synapsen verbunden. Vertrauen aufbauen, der Alte kommt mit, was trinken, lachen, reden, vielleicht sogar Probleme wälzen. Opa fühlt sich verstanden. Dann eins über den Schädel. Klappt jedes Mal wieder. Würgen, das Maul verkleben, zusehen.
    Diese verdammten verschlagenen Augen.
    Aber warum, wenn er nur die Kohle will? Vielleicht sieht er ja gar nicht dabei zu. Das Verkleben ist einfach nur zum Knebeln, die würden doch sonst alles zusammenschreien. Zweckmäßig eben. Aber geht es wirklich nur um Geld? Wenn ja, ist doch so viel auch nicht dabei rausgesprungen, jedenfalls verglichen mit dem Risiko. Da ist es doch leichter, irgendwo am Arsch der Welt’ne

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