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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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- so schnell kann man gar nicht reagieren -, der eine packt sie am Arm. Der Komiker ist näher dran, will den Helden machen. Er kriegt eine aufs Maul, fällt in einen Tisch. Dann der Auftritt. Die erste Glatze kriegt einen Tritt seitlich ans Knie, lässt Ayse los, fällt um. Die zweite Glatze will helfen, eine rechte Gerade zum Kinn. Sie berappeln sich, haben genug, durch die Tür und weg. Der BMW-Fuzzi liegt in den kaputten Möbeln, sieht ziemlich bescheuert aus. Ayse hält sich die Hand, lächelt, der Blick der Verheißung.
    Gegenüber wird rechts unten ein Fenster dunkel. Die Uhr zeigt 20.43.
    Gewonnen.

23 Uhr 09
    In der Scheibe spiegeln sich die Leute auf den Sitzen gegenüber. Zwei Frauen, alt, erschöpft. Zwischen den Knien eine Karstadt-Tüte, darin ein Paket. Das Muster auf dem Papier könnten Sterne sein. Die Spiegelgesichter gleiten durch die Schaufenster. Halt. Aus dem Kopf der rechten wächst eine Ampel. Oder ist das nur die Spiegelung? Der Grauhaarige an der Stange mit dem Entwerter träumt, Stirn an das Aluminium gelehnt. In der Scheibe gegenüber auch sein Spiegelbild, auf dieser Seite das Spiegelbild vom Spiegelbild. Oder? Im Stand kaum zu erkennen. Wie 3D-Bilder. Anfahrt.
    Kaum Leute auf den Bürgersteigen, gleiten vorbei, vereinzelt. Der dritte wird ein Mann sein. Frau, Frau mit Hund, Frau. Verloren. Noch mal. Mann, Frau, Frau. Null zu zwei. Wenigstens einen Punkt, los. Frau, Frau, Mann. Eins zu... Das war Ernst. Wie sah der denn aus? Furchtbar. Hat der getorkelt. Die Bahn hält, aussteigen.
    Dunkler Mantel, schwarzer Hut, Ernst, ohne Zweifel. Er geht langsam, leichte Schlagseite. Wann ist der denn heute gegangen? Gegen sieben. Allmählich auf gleiche Höhe.
    »Nabend Ernst.«
    Lässiger Seitenblick.
    »Alles im grünen Bereich?«
    Schlitzaugen, er schiebt die Unterlippe vor. »Was soll schon sein?« Sperrige Zunge. »Kleine Auszeit. Morgen bin ich wieder auf dem Posten«, ohne den Gang zu unterbrechen. So war der noch nie.
    »Hast du schon den ganzen Abend gesoffen? Seit sieben?«
    Leicht blödes Lachen. »Ne.« Er sieht umständlich auf die Uhr. »Ungefähr seit zehn. Vorher war ich im Kino.« Lachseufzer. »Der Kriminalhauptkommissar A zwölf Ernst Funk geht während einer dringenden Ermittlungskommission ins Kino.« Ausfallschritt nach rechts. »Aber da gab’s auch schon was zu trinken.«
    »Sollen wir uns irgendwo hinsetzen und ein bisschen reden?«
    Seine Augen auf die Stelle einen Meter vor seinen Füßen fixiert. »Reden?«
    »Ja. Reden.«
    Er zuckt mit den Schultern, nicht mehr ganz dabei. Auf der anderen Straßenseite ein Kneipenschild, Bierwerbung. Vor den Fenstern reichlich Fahrräder. Studentenkneipe. Egal. Ernst lässt sich am Arm führen. Die Musik drinnen ist leiser, als anzunehmen war. An einem langen Tisch rechts ist das eine Ende frei. Ernst lässt sich auf den Holzstuhl fallen, schweigt, wischt sich mit der Hand übers Gesicht.
    Die Bedienung fragt nach. Ja, zwei Bier. Drei Plätze weiter zeichnet ein junger Bursche die Wendeltreppe. Tief über den Block gebückt, gegelte Strähnen, im Aschenbecher verdampft seine Kippe. Hinter dem Gemurmel eine Jazztrompete, entspannt, der Ansatz wie ein heiserer Furz.
    »Dass du Kinogänger bist, wäre ich im Leben nicht drauf gekommen, jedenfalls nicht, bevor ich deine Videosammlung gesehen habe.«
    Er lacht weich, fast weiblich. »Sind oft gar nicht die ganzen Filme, die mich interessieren. Meistens nur einzelne Szenen.«
    »Ja, gerade. Ernst berühr’n Filmszenen. Unfassbar, wenn man dich sonst nur aus dem Dienst kennt. Und was für Szenen meinst du?«
    Er reagiert wie jemand, der erst eine Übersetzung zu Ende hören muss.
    »Na, halt Szenen, die dich anfassen, die dir in Erinnerung bleiben, in denen du lebst.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel? Er taucht wieder auf. »Zum Beispiel bei ›Amadeus‹. Da bringt Mozarts Frau mit ihren dicken Möpsen Salieri«, mit leichten Zungenproblemen, »die Noten von Mozart, weil er einen Job kriegen soll. Er blättert die Bögen durch, man hört im Hintergrund die Musik, und Salieri ist völlig weg.« Der Suff gibt ihm unbekannte Begeisterung. »Dann lässt er die Bögen fallen, und sie fragt, ob es nicht gut sei. Er dreht sich zu ihr, sieht sie ganz lange an. Und dann sagt er: ›Es ist überirdisch.‹ Und geht.«
    Er nimmt einen Schluck Bier.
    »Oder bei ›Jenseits der Stille‹, kennste den? Da steht das Mädchen neben ihrem taubstummen Vater hinter einem Fenster. Sie sehen sich einen

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