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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Sonnenuntergang an, der sich in der Scheibe spiegelt. Er fragt sie etwas in Gebärdensprache. Und sie sagt: ›Kein Geräusch. Sie macht es ohne Geräusch. ‹«
    Seine Augen wandern weg, er sieht es sich innerlich an.
    »Oder bei ›Jenseits von Afrika‹, kennste, ne? Da verabschiedet sich Robert Redford von Meryl Streep und fragt: ›Krieg ich keinen Abschiedskuss?‹ Und sie sagt: ›Ich küsse besser zur Begrüßung.‹«
    Er sitzt matt da, schließt für ein paar Momente die Augen, wacht wieder auf.
    »Hast du das nicht, dass manche Szenen was Besonderes sind? Oder gehst du gar nicht ins Kino?«
    Der Zeichner am Nebentisch lehnt sich zurück, steckt sich eine neue Kippe an. Ernst trinkt einen Schluck.
    »Doch, schon, manchmal. ›Jenseits von Afrika‹ habe ich auch gesehen. Damals war ich mit Marga zusammen, der schönen Marga, die wollte den unbedingt sehen. Irgendwann sitzen die da am Strand am Lagerfeuer, Redford und die Streep, philosophieren rum über das Leben und Beziehungen und so. Und irgendwann sagt Robert Redford dann: ›Ich möchte nicht eines Tages aufwachen und am Ende des Lebens eines anderen stehen.‹«
    Er brummt leise, nickt, kann sich erinnern, schwach. Nicht seine Szene.
    »Aber es gibt auch lustige Szenen.« Er wird wieder lebendiger. »Kennst du die aus ›Local Hero‹, wo Burt Lancaster von seinem bescheuerten Psychiater genervt wird mit der Provokationstherapie?« Er schüttelt den Kopf. »Hinterher klettert der an der Außenfassade von Lancasters Büro rum und legt in Riesenbuchstaben das Wort ›Motherfucker‹ an die Fenster.« Heiseres Lachen, sein Körper lacht nicht mit, seine Augen auch nicht, eigentlich ist es kein Lachen.
    »Nicht gut drauf heute, Ernst?«
    Er zuckt mit den Schultern.
    »Willst du darüber reden?« Etwas Zeit lassen. »Wir kennen uns jetzt schon’ne Weile, aber ich weiß eigentlich nichts von dir. Außer, dass du dir Schmachtfetzen anguckst.«
    Schluckauf, sein Blick gleitet weg. »Es gibt eine Welt da drinnen und eine Welt da draußen.« Deutliches Lallen. »Was soll schon dahinterstecken?«
    »Tipp eins: Geburtstag der Ex.«
    Kopfschütteln.
    »Tipp zwei: Datum der Scheidung?«
    Er braucht zwei Atemzüge, greift sein Glas, trinkt nicht.
    »Wir waren nicht verheiratet.«
    »Warum ist es gescheitert?«
    »Ich habe damals’ne Zeit lang öfter mal gezockt, Roulette, dachte, man kann das knacken, so systematisch. Hab aber bald gemerkt, dass es Blödsinn ist. Hab sie ein-, zweimal mitgenommen.« Pause.« Ein-, zweimal zu viel für sie. Das ganze volle Programm. Lügen, Schulden, Offenbarungseid, Therapie. Hab erst nichts davon gemerkt, wir wohnten auch nicht zusammen.« Er malt mit dem Zeigefinger aus dem nassen Glasrand auf dem Tisch Figuren. »Die Trennung war dann Teil der Therapie.«
    »Und heute war der Tag?«
    Nicken. Die lässige Trompete spielt eine bekannte Melodie.
    »Gezockt? Mann, Ernst, du bist ja’ne echte Wundertüte heute Abend.«
    Er verzieht das Gesicht.
    »Und welchen Film hast du dir heute angesehen?«
    »Programmkino. ›Es war einmal in Amerika‹.«
    »Und welche Szene?«
    Drei tiefe Atemzüge, er trinkt das Glas aus, lehnt sich wieder zurück.
    »Zum Schluss kommt de Niro als ehemaliger Gangster in die Garderobe der Liebe seines Lebens. Beide sind alt, sie ist jetzt Schauspielerin, hat ihn vor dreißig Jahren verlassen, weil er sie vergewaltigt hat, und sie sehen sich seitdem das erste Mal wieder. Er steht da, sie schminkt sich ab, und er sagt: ›Guten Abend, Deborah.‹ Sie bleibt stumm.
    ›Willst du nichts sagen?‹
    ›Was kann man sich schon sagen, nach mehr als dreißig Jahren?‹
    ›Na, zum Beispiel: Du hast dich ja gar nicht verändert, oder: Ich hatte gehofft, dich nie wiederzusehen.‹«
    Er sieht wieder nach unten.
    »›Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, das ist ein Unterschied.‹«
    Er bleibt stumm, Augenaufschlag wie eine Bahnschranke, die Trompete spielt den letzten Ton, unendlich.
    »Ich glaube, Ernst, wir gehen jetzt in die Heia. Du sollst morgen den ersten Teil der Vernehmung machen.«
    Er befolgt es brav, steht auf. Die Bedienung steht an der Theke, kommt auf einen Wink. Einen Euro Trinkgeld.
    Draußen fallen einige winzige Schneeflocken durch das Licht der Straßenlaternen.
    »Schaffst du’s allein?«
    Er nickt, hebt die Hand und geht in die Dunkelheit.
    »Ich küsse besser zur Begrüßung…«, nach den ersten Schritten, »… ich hatte gehofft, dich nie wiederzusehen.« Er wird leiser. »Ich dachte,

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