Blutspiele

Spurensicherung fluchen, weil der Killer nicht viel hinterlassen hat, womit sie arbeiten können. Er hat den Tatort aufgeräumt. Abgesehen von diesem Kelch vielleicht …« Joe nahm Johnson den Plastikbeutel ab und hielt ihn gegen das Licht. Die Sonne ging gerade unter, aber die Strahlen fielen durch das Plastik, und er konnte die Zeichnung auf dem Gefäß erkennen. Ein altertümlicher Festsaal, ein langer Tisch mit mehreren Männern. Alle Männer hatten Trinkbecher vor sich stehen, und einer von ihnen war aufgestanden und hielt einen Kelch in die Höhe.
    »Ich muss ihn ins Labor bringen, Quinn«, sagte Johnson. »Mein Chef geht mir deswegen schon seit einer Stunde auf die Nerven.«
    »Ich weiß. Der enorme Druck.« Joe gab ihm die Tüte zurück. »Ich werde dir auch auf die Nerven gehen. Sieh zu, dass sich das Labor beeilt.« Er drehte sich um. »Und ich will einen Bericht über jeden einzelnen Analyseschritt.«
    Er ging auf sein Auto zu, aber dann wandte er sich noch einmal um und schaute auf die Stelle am Fluss, wo Nancy Jo Norris gefunden worden war. Der Kreideumriss leuchtete im Dämmerlicht. Zu ordentlich für einen Mord – Was?
    Sehen.
    Hören.
    Öffnen.
    Er erstarrte. Was zum Teufel war das?
    Vier Beamte in Uniform bewachten den mit Bändern abgesperrten Tatort. Die Spurensicherung war fort. Weiter unten an der Straße standen zwei Übertragungswagen des Fernsehens. Von dort waren die Worte nicht gekommen.
    Sehen. Hören. Öffnen.
    Er ging langsam auf die Bäume jenseits der Stelle zu, wo Nancy Jo Norris ermordet worden war.
    Sehen. Hören. Öffnen.
    Jetzt befand er sich im Zwielicht der Baumschatten. Er blieb stehen und lauschte, ob er die Worte noch einmal hören konnte.
    »Hier gefällt es mir nicht. Es macht mir Angst. «
    Er fuhr herum und sah sie links neben sich.
    Sie stand nur wenige Meter entfernt. Langes blondes Haar, Jeans, ein rotes Sweatshirt der University of Georgia und das Gesicht, in das er den ganzen Tag gestarrt hatte, mit blauen Augen, die in Furcht und Verwirrung weit aufgerissen waren.
    »Verdammt, wer sind Sie?« , fragte er heiser.
    »Ich bin Nancy Jo. Wer sind Sie?«
    Joe fühlte sich wie nach einem Tritt in den Bauch. Die Härchen in seinem Nacken richteten sich auf. Reiß dich zusammen! Dafür musste es eine Erklärung geben.
    »Sind Sie eine Verwandte des toten Mädchens? Eine Schwester?«
    »Ich habe keine Schwester. Totes Mädchen. « Sie flüsterte: »Sie sprechen von mir, oder? Das verstehe ich nicht. Wie kann das sein? Warum?«
    »Wie sind Sie hierhergekommen? Warum hat Sie der diensthabende Polizist nicht an der Absperrung aufgehalten?«
    »Ich war den ganzen Tag hier und habe Sie beobachtet. « Sie erschauderte. »Sie haben über das Mädchen gesprochen, als ob sie ich wäre. Das ist sie nicht. Sie war es einmal, aber das war, ehe er –«
    Er musste diesem Irrsinn ein Ende setzen. Sich wieder in die Wirklichkeit zurückholen. »Sie sagen, sie sei nicht Nancy Jo Norris? Wer ist das Opfer dann?«
    »Opfer?« Sie schloss die Augen. »Ja, ich war ein Opfer. Ich wollte vor ihm davonlaufen. Aber er hat mich zum Opfer gemacht. Er hat mir das Leben genommen. Und das Blut. Er hat mir mein Blut genommen. « Ihre Lider hoben sich und enthüllten blaue Augen, in denen Tränen glitzerten. »Warum? Es ist ungerecht. Das hätte nicht passieren sollen. Nicht mir. Ich habe nichts Böses getan. «
    Entweder war er verrückt, oder dieses Mädchen war eine Irre. Er hoffte zu Gott, dass nicht er es war. Aber egal, er musste auf die Situation reagieren, als würde er normal denken und handeln. Das war seine einzige Rettung. »Ich glaube, Sie sollten mit mir kommen. Wir müssen Sie dazu befragen, in welchem Verhältnis Sie zu der Toten stehen und wie Sie hierhergekommen sind. «
    »Er hat mich hergebracht, Sie Idiot. « Die Tränen waren plötzlich verschwunden, und sie hatte die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt. »Er hat mich von hinten gepackt, in diesem Parkhaus im Perimeter-Einkaufszentrum, und mir ein Taschentuch aufs Gesicht gedrückt. Es hat … süßlich gerochen. Wie bei einer Narkose. Wie damals, als sie mir den Blinddarm entfernt haben. Ich war sofort weg. Dann hat er mich hergebracht und mir die Kehle durchgeschnitten. Was werden Sie jetzt tun? Sie sind doch ein Polizist, oder?«
    »Ich bin Detective Joe Quinn. « Er schwieg einen Moment. »Und Sie haben offenbar Wahnvorstellungen. Sie brauchen Hilfe. Würden Sie mitkommen?«
    »Verdammt, Sie sagen dauernd, ich wäre