Blutspur des Todes
einfach keine Lust, sich mit Wenny zu streiten. Als sie Emily von ihrer Großmutter abholen wollte, hatte die darauf bestanden, mitzukommen und bei ihnen zu schlafen, wenigstens bis Vince »aus den Alpen" zurück sei – das klang, als sei er in Skiurlaub gefahren.
Seit Jared Barnett aus dem Gefängnis entlassen worden war, machte Wenny sich Sorgen, obwohl Grace ihr nichts davon gesagt hatte, dass Barnett ihr offenbar nachstellte. Auch von ihrer Annahme, dass er einer der flüchtigen Bankräuber war, wusste Wenny nichts. Aber die alte Dame schien so etwas wie einen sechsten Sinn zu haben. In der Nacht, in der ihre Eltern damals umgekommen waren, hatte Wenny sogar eine Kerze ins Fenster gestellt – zum Schutz gegen das aufziehende Gewitter. Aber dann war eine ganz andere Katastrophe über das Haus ihres Sohnes drei Blocks entfernt hereingebrochen.
Grace hatte es Emily überlassen, Wenny ihr neues Haus zu zeigen. Insgeheim hoffte sie, dass die Kleine Wenny vielleicht für den Gedanken begeistern könne, zu ihnen zu ziehen. Das war der eigentliche Grund, weshalb sie schließlich zugestimmt hatte, als Wenny mitkommen wollte.
Natürlich war es lächerlich anzunehmen, die alte Dame könne sie irgendwie beschützen, zumal Grace darauf bestanden hatte, dass sie die .38er zu Hause in ihrer Nachttischschublade ließ. Aber vielleicht bekam Wenny ja auf diese Weise das Gefühl, gebraucht zu werden, und die Entscheidung, ihr altes Haus aufzugeben, fiele ihr leichter.
Grace wollte unbedingt, dass Wenny bei ihnen einzog.
Aber natürlich musste auch sie selbst es wollen. Sie verdankte der alten Dame unendlich viel. Es war Wenny gewesen, die ihr beigebracht hatte, dass sie jedes Ziel erreichen konnte, wenn sie es nur ernsthaft genug verfolgte. Wenny hatte große Opfer für sie gebracht und das als völlig selbstverständlich erachtet, was vielleicht etwas mit ihrer deutschen Herkunft zu tun hatte.
Es sei doch ganz normal, für die Familie da zu sein, erklärte sie immer. Die Familie sei nun mal das Wichtigste. Von Wennys starkem Willen und Kampfgeist profitierte sie noch heute.
Sie fand Wenny und Emily in der Küche, wo sie die Vollkorn-Schokokekse probierten, die sie vorhin gebacken hatten. Zum Abendessen waren sie ausgegangen und hatten sich für ein griechisches Restaurant entschieden. Wenny hatte darauf hingewiesen, welchen Beitrag die Griechen zur Kultur der Menschheit geleistet hatten, wohingegen man den Franzosen nicht trauen dürfe, wofür die hohen Preise in ihren Lokalen und die kleinen Portionen auf den Tellern der beste Beweis seien. Grace ließ ihr solche Bemerkungen ungern durchgehen, doch gegen alte Überzeugungen und Vorurteile anzukämpfen, war manchmal aussichtslos.
»Ist das ein Betthupferl?« fragte sie die beiden und nahm ihnen gegenüber am Tisch Platz.
»Ich muss noch aufbleiben, damit Wenny sich nicht fürchtet«, erklärte Emily, wich dem Blick ihrer Mutter jedoch aus und tunkte einen Keks in ihr Milchglas.
»Ich glaube kaum, dass Wenny vor irgendetwas Angst hat«, erwiderte Grace. »Also solltest du dich nicht langsam fertig machen, um ins Bett zu gehen?«
»Emily hat mir von Mr. McDuff erzählt.«
»Ja, ich kann ihn immer noch nicht finden, Mom.«
»Ich bin sicher, er ist hier irgendwo.«
»Ich kann ohne ihn nicht einschlafen. Kann ich nicht heute Nacht bei Wenny schlafen? Nur bis sie sich an das Haus gewöhnt hat.«
»Ich denke, Wenny kommt schon zurecht«, erwiderte Grace, bemerkte jedoch den Blick, den die beiden tauschten, während Emily sich den in der Milch eingeweichten Keks in den Mund schob. Offenbar hatten sie sich abgesprochen.
»Emily, du gehst jetzt nach oben und ziehst deinen Schlafanzug an. Wenny und ich kommen dann gleich und bringen dich ins Bett.«
»Okay.« Wieder warfen sich die beiden einen Blick zu, dann glitt Emily von ihrem Stuhl und verließ die Küche. Die beiden Frauen lauschten ihren Schritten auf der Treppe nach oben.
»Sie hat mir erzählt, ein Schattenmann hätte ihren Mr. McDuff mitgenommen.«
»Sie hat aufgeschnappt, wie ich mich mit Vince über einen Fall unterhalten habe, und da hat sie etwas falsch verstanden.«
»Er war hier im Haus.«
»Niemand war hier im Haus.« Doch Grace wusste, dass sie Wenny von diesem Gedanken nicht würde abbringen können.
Sie hatte ihre Großmutter noch nie täuschen können. Tatsache war, dass sie nicht wusste, ob Barnett in ihr Haus eingedrungen war oder nicht. Sollte etwa er diesen Gartenzwerg hinterlassen haben? Aber
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