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Blutspuren

Blutspuren

Titel: Blutspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Girod
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passieren artig die Wache am großen Tor und sind im Nu in alle Winde verstreut. Elisabeth Schäfer hat Klausdorf schnell entdeckt, löst sich aus der Menge und steuert freudestrahlend auf ihn zu. Noch ehe er etwas sagen kann, küßt sie ihn leidenschaftlich, greift mit einer Hand hemmungslos zwischen seine Beine und haucht: »Mensch, bin ich geil auf dich!«
    »Laß das, wenn uns jemand sieht«, faucht er zurück und blickt sich ängstlich um.
    »Hast wohl Angst, deine Frau kriegt was mit?« stichelt Elisabeth, »ist doch sowieso egal, wenn du dich scheiden läßt, oder?«
    Heinz Klausdorf wird verlegen. Das Unbehagen steht ihm im Gesicht, vorsichtig tastet er sich zum eigentlichen Thema vor. »Na ja«, beginnt er zögerlich, »genau darüber will ich mit dir reden.«
    Frau Schäfer blickt ihm tief in die Augen, ahnt, daß ein Problem auf sie zukommt, enttäuscht fragt sie: »Soll das heißen, du willst nicht mehr?«
    Lange Sekunden steht die Frage im Raum. Klausdorf druckst herum, will mit der Sprache nicht heraus. Die Angelegenheit ist ihm sehr fatal. Sofort gewinnt Frau Schäfer wieder Oberhand, öffnet ihre Handtasche, präsentiert eine große Flasche Rotwein, streichelt ihrem Liebhaber zärtlich über die Wange und drängt: »Hier, für uns. Komm mit zu unserer Lieblingsstelle. Versau uns nicht den schönen Tag. Nachher können wir reden!«
    Sie erfaßt seine Hand, geht los und zieht ihn mit sanfter Gewalt hinter sich her. Einige Schritte lang zögert er. Sie merkt es, bleibt stehen, geht auf erotische Tuchfühlung und umgarnt ihn: »Heinzerchen, ich brauch dich doch so sehr. Los, komm!«
    Jetzt zeigt ihre Taktik Erfolg. Die Lust auf ein erotisches Vergnügen beginnt auch seinen Körper zu erfassen. Warum eigentlich nicht?, denkt er und entschuldigt seine bisherige Inkonsequenz damit, daß er ja auch später noch mit Elisabeth reden könne. Ein letztes Mal will er sich dem Sinnesrausch hingeben, er soll gewissermaßen wie eine Abschiedsvorstellung sein. Danach will er sich endgültig von ihr trennen, basta!
    Zärtlich legt er seinen Arm um sie. Elisabeth lehnt ihren Kopf an die Schulter ihres Geliebten. So spaziert das Paar durch den Zwickauer Osten zur Dresdener Landstraße und biegt schließlich in einen einsamen, verschlungenen Feldweg ein, der nach wenigen Kilometern vor Mülsen Sankt Niclas endet.
    Montag, der 17. April 1967. Am Morgen. Der Bürgermeister von Mülsen Sankt Niclas sitzt früher als gewöhnlich an seinem Schreibtisch, schlürft Kaffee, liest Zeitung, das SED-Organ »Neues Deutschland«, und erledigt eilig etwas Verwaltungskram. Dann schaltet er den Dienstfernseher an: Kampflieder dudeln aus dem Lautsprecher. Gleich beginnt aus dem fernen Berlin die Direktübertragung des VII. Parteitages. Das Hauptreferat wird Walter Ulbricht halten. Es wäre unverzeihlich, würde das Gemeindeoberhaupt sein Interesse an dem sechstägigen Politspektakel nicht auf diese Weise bekunden.
    Die Sekretärin erscheint. Ihrem Gesicht ist anzusehen, daß sie etwas Wichtiges sagen will. Der Bürgermeister stellt den Ton am Fernseher aus: »Was gibt’s denn?«
    »Die Mädchen von der Schäfern sind seit Freitag allein, laufen im Ort rum und betteln in der Nachbarschaft um Essen. Die Mutter treibt sich wieder herum. Aber so lange war sie noch nie weg.«
    »Und wo sind sie jetzt?« will der Gemeindechef wissen.
    »Draußen vor deiner Tür«, sagt die Frau aus dem Vorzimmer.
    »Schick sie mal rein«, beauftragt er sie.
    Zwei Mädchen, ihre Schulranzen auf dem Rücken, betreten schüchtern, mit blassen Gesichtern und verheulten Augen das Büro des Bürgermeisters. Die zwöfjährige Susanne Schäfer und ihre zehnjährige Schwester Silvia. Der Ortsgewaltige hört geduldig zu, was die verstörten Kinder zu berichten haben. Am Ende des Gesprächs sind die Kleinen beruhigt und begeben sich mit den Frühstücksstullen des Bürgermeisters und seiner Sekretärin auf den Weg in die Obhut der Schule.
    Fest steht nun: Schon drei Tage lang hat sich die Mutter zu Hause nicht blicken lassen. Seitdem sind sich die Kinder selbst überlassen, ohne Speis und Trank. Daß Elisabeth Schäfer die Mädchen gelegentlich auch mal nachts allein läßt, ist im Ort ebenso bekannt wie ihr anrüchiger Lebenswandel. Aber sich solange Zeit herumzutreiben und die Kinder derart zu vernachlässigen, will ihr niemand unterstellen. Es muß also etwas Schlimmes passiert sein. Damit fällt dieses Vorkommnis in die Kompetenz der VP. Prompt erstattet der

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