Blutspuren
Warum lügt er, wenn er ein reines Gewissen hat? Könnte er sich seiner Geliebten nicht deshalb entledigt haben, weil sie ihm mit der Zeit lästig geworden ist?
Aber die stundenlangen Befragungen führen keineswegs weiter: Klausdorf schweigt, trotzig, in sich gekehrt und voller Entrüstung, daß man ihm zutraue, seine heimliche Geliebte umgebracht zu haben. Fazit: Da die bisherigen Begründungen für seine Verhaftung auf rechtlich schwachen Füßen stehen, gilt es weiter zu ermitteln, den Tatort, vor allem aber die Leiche zu finden. Denn ohne Leiche ist der Nachweis eines Verbrechens nur sehr schwer möglich. Und ohne Nachweis eines Verbrechens ist Klausdorfs Täterschaft nicht zu beweisen. Zähneknirschend müssen ihn die Kriminalisten schließlich nach Hause entlassen.
In den letzten Apriltagen sind weitere Polizeikräfte und Hundestaffeln im Einsatz, die Gegend zwischen Zwickau und Mülsen Sankt Niclas abzusuchen. Doch alle Maßnahmen verlaufen im Sande. Deshalb ist beim Beschuldigten Klausdorf eine Wohnungsdurchsuchung vorgesehen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß sich dort der Tatort oder das Leichenversteck befinden. Zumindest besteht die vage Hoffnung, Spuren, Beweise oder Indizien aufzuspüren, die über den Verbleib der Vermißten Auskunft geben oder helfen, den Verdächtigen zu überführen.
An der Aktion nehmen Ermittler der MUK und Kriminaltechniker teil. Auch die Anwesenheit des ABV, VP-Meister Pertus, ist zweckmäßig, denn er kennt Örtlichkeiten und Leute am besten. Und da das Gesetz bei einer Wohnungsdurchsuchung die Gegenwart von Zeugen vorsieht, wurden zwei Nachbarn überredet, am Morgen des 2. Mai 1967 das ungewöhnliche Spektakel mit stillem Interesse zu verfolgen. Anita Klausdorf hält sich mit Kindern einstweilen bei Verwandten in einem Nachbarort auf. Sie kann die Demütigung des ehelichen Vertrauensbruchs und der polizeilichen Schnüffelaktion um ihren Mann einfach nicht verkraften.
Heinz Klausdorf, dem ein Uniformierter nicht von der Seite weicht, versucht, die Emotionen zu unterdrücken. Er sitzt, äußerlich teilnahmslos, als ginge ihn das Ganze nichts an, in der Küche, raucht und harrt der Dinge, die er sowieso nicht ändern kann. Nur das verkrampfte, überhebliche Lächeln und die ins Leere starrenden Augen verraten seine ungeheure innere Anspannung.
Erst am Ende des Vormittags erlischt die polizeiliche Wißbegierde. Doch die Ausbeute ist ziemlich gering: Nur das Radio, das unter Klausdorfs Bett steht, gibt einen für den Untersuchungszweck allerdings unbedeutenden Hinweis auf die Vermißte. An einem großen Taschenmesser aus der Jacke des Beschuldigten lassen sich mit der sogenannten Benzidinprobe zwar ganz geringe Blutspuren feststellen, ob es sich aber um menschliches Blut handelt, bleibt weiterhin fraglich. Zufällig entdeckt einer der Sucher in einer Kommode eine alte, ziemlich abgegriffene Landkarte der östlichen Umgebung von Zwickau. Zunächst gilt sein Interesse dem Alter der Karte: »Sieht aus wie’n Meßtischblatt vom Militär, Zweiter Weltkrieg vielleicht.«
Als er sie ausbreitet und betrachtet, stößt er auf eine Auffälligkeit: Eine kleine, offensichtlich mit Tinte vorgenommene Markierung in Form eines mit einem Kreis umrandeten Kreuzes. Diese unscheinbare Eintragung stößt auf sein Interesse. Er bittet VP-Meister Pertus zu sich, tippt mit dem Finger auf das Kreuz stellt eine Frage, von der niemand ahnen kann, daß sie im Fall der vermißten Elisabeth Schäfer die entscheidende Wende ankündigt: »Kennen Sie diese Stelle?«
Pertus schaut eine Weile auf den Geländeplan und überlegt. Schließlich flüstert er dem Kriminalisten zu: »Das könnte der alte Schuttabladeplatz zwischen Zwickau und Mülsen sein!«
Die Markierung auf der Karte, ein Schuttabladeplatz und eine verschwundene Frau? Na, daraus ergibt sich doch ein brauchbarer Ermittlungsansatz! Während die Männer der MUK sich über das weitere Vorgehen verständigen, sitzt Heinz Klausdorf unter Aufsicht eines Wachtmeisters immer noch in der Küche und raucht eine Zigarette nach der anderen. Dann wird er mit dem Meßtischblatt konfrontiert: »Haben Sie das Kreuz da drauf gemacht?«
Er wirft einen flüchtigen Blick auf die Karte, hebt die Schultern: »Kenn ich nicht. Nicht von mir!« Er wird nochmals gefragt. Doch Klausdorf bleibt dabei: »Keine Ahnung, wer das da reingemalt hat!«
Die Männer der MUK sind sich einig: Die auf der Karte markierte Stelle muß Zentimeter für Zentimeter abgesucht werden.
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