Blutspuren
Und noch am Nachmittag des gleichen Tages wird der unweit von Mülsen Sankt Niclas liegende Müllplatz zum Schauplatz einer ehrgeizigen kriminalistischen Spurensuche. Er liegt tiefer als das ihn umgebende Gelände und wird dadurch von einer meterhohen, mit dichtem Buschwerk bewachsenen Böschung eingerahmt. Ein Dutzend Polizisten in dunkelblauen Overalls und Stiefeln, mit Schaufeln, Hacken und Harken bewaffnet, gehen ans Werk. Nur knappe dreißig Minuten dauert die Aktion. Dann kann sie erfolgreich abgeschlossen werden: In einer metertiefen Senke, verscharrt in Asche, bedeckt mit Pappkartons, Teilen eines entsorgten Kinderwagens und anderem Unrat liegt der Leichnam einer Frau. Vorsichtig wird der freigelegt und grob gesäubert. Das rote Haar der Toten ist ein erster wichtiger Hinweis darauf, daß es sich um die vermißte Elisabeth Schäfer handeln kann. In der Tat: Als der Gerichtsmediziner einige Zeit später die Leichenschau beendet, bestätigt sich diese Annahme. Alter, Bekleidung, Haarfarbe, geschätzte Liegezeit und das für eine Wiedererkennung noch gut erhaltene Antlitz der Toten führen schon am Fundort zu einer schnellen Identifizierung. Als mögliche Todesursache gibt er Verbluten an, denn der Leichnam ist mit tiefen Messerstichen übersät, und die Platzwunde am Kopf scheint nicht so erheblich zu sein, daß sie den Tod verursacht haben könnte.
Wegen des dringenden Verdachts, Frau Schäfer vorsätzlich getötet zu haben, wird noch am Abend Haftbefehl gegen Heinz Klausdorf erlassen. Zwei Tage später liegt der Autopsiebericht vor. Im wesentlichen deckt er sich mit dem Leichenschaubefund. Doch in zwei Punkten vermittelt er präzisere Ergebnisse: So kann zum einen davon ausgegangen werden, daß Frau Schäfer kurz vor ihrem Tode Geschlechtsverkehr hatte. Dafür sprechen die geordnete Kleidung der Toten und die nachgewiesenen relativ gut erhaltenen Spermien. Möglicherweise eignet sich diese Spur sogar für eine Individualisierung des Produzenten. Dieser Befund beweist erneut, daß bei Leichen Spermaspuren in der Scheide auch nach längerer Zeit nachgewiesen werden können. Zum anderen lassen die etwa 35 Messerstiche, die sich wahllos über den ganzen Leib der Toten verteilen, den Schluß zu, daß der Täter in großer Panik oder Wut zugestochen haben kann.
Dem beschuldigten Heinz Klausdorf wird das Ergebnis der Suche auf dem Schuttabladeplatz nicht vorenthalten. Er fühlt sich durch den Beweisdruck wie am Boden zerschmettert. Sein schlechtes Gewissen ist nun so übermächtig, daß er unter Tränen gesteht, Elisabeth Schäfer umgebracht zu haben.
Zwischen den dichten Sträuchern an der Böschung des Müllplatzes befindet sich Elisabeth Schäfers Lieblingsstelle für geheimen Freiluftsex. An diesem Platz vergnügte sie sich mit Heinz Klausdorf schon in der Vergangenheit. Deshalb schlenderte das Paar auch an diesem sonnigen Nachmittag des 14. April 1967 den verschlungenen Pfad durch die Felder entlang, der von der Dresdener Landstraße abzweigt und nach Mülsen Sankt Niclas, aber auch zu ihrem Liebesnest führt. Ab und zu unterbrachen die Liebenden den Spaziergang, um sich leidenschaftlichen Küssen hinzugeben. Elisabeth war überraschend wohlgelaunt, fast albern. Sie scherzte grob und zotig, ließ ihrem Begehren freien Lauf. Heinz Klausdorf war indes zurückhaltend. Obwohl er immer mehr Lust verspürte, sich mit ihr zu vereinigen, dachte er fortwährend daran, daß dieses heimliche Stelldichein bald seinen Abschluß finden müsse. Elisabeth holte die Weinflasche aus ihrer Tasche: »Hier, mach auf!«
Klausdorf kramte sein großes Taschenmesser aus der Hosentasche hervor und klappte einen Korkenzieher auf. Mühelos entkorkte er die Flasche. Sie tranken abwechselnd. Aber er hielt sich unbemerkt zurück. Noch ehe die beiden ihre erotische Vergnügungsstätte erreicht hatten, war die Flasche fast leer. Elisabeth, inzwischen ziemlich beschwipst, konnte es kaum erwarten. Auf der Böschung am Rande des Müllplatzes, an einer Stelle, wo die dichten Sträucher eine kleine Lichtung bilden, vollzogen sie den Beischlaf. Elisabeths Leidenschaft kannte keine Grenze. Auch Klausdorf war emsig bei der Sache, bis die körperliche Schwäche eine Fortsetzung der Orgie unmöglich machte. Erschöpft ruhten sich beide eine Zeitlang aus. In Klausdorfs Kopf spukte von nun an nur ein einziger Gedanke: Jetzt muß es raus! Verlegen verschwand er zunächst hinter einem anderen Gebüsch, um seine Notdurft zu verrichten. Unterdessen
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