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Blutspuren

Blutspuren

Titel: Blutspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Girod
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sächsischen Steinkohlereviers, das sich bis Oelsnitz erstreckt. Die meisten Menschen gehen im Bergbau oder in der Kokerei ihrem Tagewerk nach, andere arbeiten in der umliegenden Textilindustrie oder im Fahrzeugwerk VEB Sachsenring, der Geburtsstätte der schlichten Duroplastkarosse »Trabant«.
    Im Frühjahr 1967 löste ein Mord bei den Dorfbewohnern blankes Entsetzen aus: Der 37jährige Heinz Klausdorf, verheiratet und Vater dreier Kinder, tötete die 46jährige Elisabeth Schäfer. Ihren Leichnam ließ er auf einem Schuttplatz verschwinden. Motiv der Untat: Seit einigen Monaten unterhielt er eine heimliche Beziehung zu Frau Schäfer. Er wollte sich von ihr trennen, doch sie drohte, das außereheliche Verhältnis seiner Angetrauten zu offenbaren. Um seine Ehe nicht zu gefährden, sah er keinen anderen Ausweg, als die lästige Geliebte zu beseitigen.
    Die braven Einwohner von Mülsen Sankt Niclas konnten nicht fassen, was in ihrer Nähe geschah, immerhin stammten Frau Schäfer und der Mörder aus ihrer Gemeinde. Der Dorfklatsch kannte tagelang nur dieses Thema. Zwei Wochen lang war die Kriminalpolizei in Mülsen Sankt Niclas aktiv. Dann war der Täter gefaßt und überführt. Der Fall konnte schnell und erfolgreich abgeschlossen werden. Danach begannen die Gespräche zu verstummen, und bald geriet das schlimme Ereignis ganz in Vergessenheit. Für die Mordkommission Karl-Marx-Stadt waren die Ermittlungen in dieser Sache reine Routine, unspektakulär und beweisrechtlich problemlos.
    Dennoch liegt über dem Fall der Schleier eines Geheimnisses: Die Umstände, die der Polizei den Weg zum Opferversteck wiesen und damit schließlich die Täterüberführung ermöglichten, sind so rätselhaft, daß ihre Zusammenhänge bis heute nicht erklärt werden können und deshalb hinreichenden Anlaß für allerlei parawissenschaftliche Spekulationen bieten. Der folgende Bericht soll daher die damaligen Ereignisse Revue passieren lassen. Er beschreibt die kriminologischen Zusammenhänge, bewertet ihre rechtlichen und gutachterlichen Aspekte, schildert das Zusammenspiel der Akteure und sucht nach einer Erklärung für das scheinbare Mysterium dieses Falles:
    Heinz Klausdorf, Jahrgang 1930, Ältester von drei Brüdern, ist ein normales Kind und wächst in geordneten Verhältnissen auf. Sein Vater, wegen einer in den letzten Kriegstagen an der Westfront 1918 erlittenen Verletzung gehbehindert, seitdem Invalide, sorgt als Drogist in Zwickau für den Lebensunterhalt seiner Familie. Die Mutter müht sich redlich um die Erziehung der Kinder. 1936 wird der kleine Heinz eingeschult, durchläuft die Volksschule bis zum Abschluß der 8. Klasse problemlos. Die nationalsozialistische Indoktrination zeigt Erfolg: Sein kleines Herz gehört dem Führer. Er haßt Juden und Bolschewiken und betet zur Nacht für den Sieg der Deutschen gegen den Rest der Welt. Kaum aus der Schule entlassen, wird er kraft der unsäglichen »Anordnung über den Kriegseinsatz der deutschen Jugend« als Luftwaffenhelfer eingezogen. Der junge Patriot kann es kaum erwarten. Er bemerkt nicht, daß er Opfer des Wahnsinns ist. In einer Einheit der Flakartillerie erlebt er das Trauma alliierter Bombergeschwader. Fast ein Jahr dauert der Horror. Als Nazideutschland schließlich kapitulieren muß, ist sein Körper unversehrt, die jugendliche Seele jedoch hat Schaden genommen. Menschenfeindliches, kriminelles Verhalten eines untergegangenen Staates hat auch ihn kriminalisiert: Not und Elend auf der einen, die Verlockungen des Schwarzen Marktes auf der anderen Seite, begünstigen das. Hinzu kommt der schnelle Tod seiner Mutter. Der Vater ist mit den drei Söhnen überfordert. Überdies quält ihn ein Lungenleiden, das ihn schließlich zur Aufgabe der Drogerie zwingt. So schließt sich Heinz einer jugendlichen Bande an, begeht Diebstähle in einem Baustofflager der Besatzungsmacht, bis Sicherheitsleute der SMAD seiner habhaft werden. Eine Zeitlang verschwindet er in einem sowjetischen Arbeitslager. 1951 wird er entlassen, nach außen hin diszipliniert und angepaßt. Doch er meidet den Anschluß an andere Jugendliche, entwickelt sich zum Einzelgänger. Im Innern schwelt nach wie vor die Unmoral. Er schuftet in einer Schmiede, zeigt dort gute Leistungen, und es wäre auch so geblieben, wenn er nicht erneute Diebstähle begangen hätte. Für lange Monate muß er in Haft. In dieser Zeit stirbt sein Vater. Die Brüder teilen den spärlichen Hausrat unter sich auf. Nach der Haft wird ihm eine

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