Blutspuren
mich manchmal so, als wenn ich nicht normal bin. Ich weiß genau, was ich gemacht habe. Mit Vorsatz, ohne Zwang. Die Kleine hätte nur nicht so’n Krawall machen müssen, die alten Weiber über mir sollten ja nichts hören. Jetzt ist sie tot, tut mir leid, Ehrenwort. Aber ich hatte plötzlich Angst.
Frage: Gestern sagten Sie mir, Sie hätten was erfunden. Können Sie mir sagen, was das ist?
Antwort: Erfunden habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, ich wollte was erfinden, das ist ein Unterschied. ’ne Maschine, die Gedanken speichern kann und wieder abgeben, alles telepathisch …
Frage: Sie sagten gestern auch, daß Sie manchmal heimlich die Särge aufmachen, um die Toten anzusehen. Was empfinden Sie denn dabei?
Antwort: Darüber will ich nicht sprechen. Manche sind jung, manche alt.
Frage: Erregt es Sie, wenn Sie die Toten ansehen?
Antwort: Manchmal schon.
Frage: Hatten Sie schon Geschlechtsverkehr mit einer Leiche?
Antwort: …
Frage: Wollen Sie nicht darüber sprechen?
Antwort: Nur manchmal hab ich es gemacht.
Frage: Was heißt »manchmal«, können Sie genauer sagen, wie oft?
Antwort: Drei, vier Mal, mehr bestimmt nicht. In diesem Jahr aber noch nicht.
Frage: Waren Sie schon mal beim Psychiater oder beim Nervenarzt zur Behandlung?
Antwort: Das ist schon lange her, sehr lange, mehr als zehn Jahre, warum, weiß ich aber nicht mehr …
Das Ermittlungsverfahren gegen Konrad Perschke wird im Spätherbst 1965 abgeschlossen. Im wesentlichen stützt sich die kriminalistische Beweisführung auf die spurenkundlichen Befunde der Tatortuntersuchung, die gerichtsmedizinische Leichenöffnung, die Beschuldigtenvernehmung und die Zeugenaussagen seiner Ehefrau, Nachbarn und Arbeitskollegen. Übereinstimmend wird Perschke von den Menschen aus seinem sozialen Umfeld als auffällig verschroben und versponnen bezeichnet, auch wenn diese Eigenheiten nicht durchgängig, sondern phasenhaft auftreten. Die im Beisein eines Kinderpsychologen erfolgte Befragung des Kindes Ramona Perschke bestätigt das Eingeständnis des Beschuldigten, sich wiederholt auch an seiner minderjährigen Tochter sexuell vergangen zu haben.
Bei den Männern der Mordkommission herrscht von Anbeginn des Verfahrens Einigkeit darüber, daß Perschkes außergewöhnliches Verhalten den Verdacht einer psychischen Störung begründet. Ob diese jedoch einen solchen Grad erreicht hat, daß sie seine Zurechnungsfähigkeit mindert oder gar ausschließt, soll durch eine sich dem Ermittlungsverfahren anschließende Begutachtung festgestellt werden. Perschkes eingehende Untersuchung erfolgt deshalb in der neurologischpsychiatrischen Klinik Dresden. Ergebnis: In einem 46seitigen Gutachten wird begründet, daß es sich beim Beschuldigten um eine »asoziale, triebhafte, unstete, übernervös fahrige Persönlichkeit« handelt, die nach der Diagnose einer »linksseitigen Hirnschädigung unbekannter Ätiologie im Sinne einer Epilepsie des Schläfenlappens« deutliche Zeichen einer Störung der Geistestätigkeit zeigt. Vor allem die »Mutter wirkt mit destruktiv-sadistischem Inhalt akustisch halluzinatorisch auf ihn ein«. Sich daraus ergebende dranghafte Anfallszustände wurden bereits zwölf Jahre zuvor bei ihm festgestellt. Diese Symptomatik veranlaßt den Gutachter, Perschke gemäß § 51 Abs. 2 StGB (Fassung vor dem 1.7.1968) eine verminderte Zurechnungsfähigkeit zu bescheinigen.
Mitte Dezember 1965 findet vor dem Bezirksgericht Dresden die mehrtägige, nicht öffentliche Hauptverhandlung gegen Konrad Perschke statt. Auf Grund des psychiatrischen Gutachtens ordnet das Gericht seine »Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt« an. Tags drauf wird er in die geschlossene Abteilung des Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Arnsdorf eingewiesen, wo er sein weiteres Leben verbringen wird.
Wenige Jahre nach der Inhaftierung Perschkes wird das Haus am Friedhof abgerissen. Die entstandene Lücke bleibt seitdem baulich ungenutzt. Jetzt befindet sich an dieser Stelle des Obersteinwegs ein Wäschetrockenplatz. Nur die alte Gruft an der Friedhofsmauer hat die Zeiten überdauert. Die Stelle, an der seinerzeit die Suchhunde die Spur des toten Mädchens aufnahmen, ist unverändert, wenn man von dem üppigen Efeu absieht, der inzwischen die Mauer überzieht.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Knast in der DDR
Eine Nachbemerkung
Im allgemeinen soll Strafvollzug durch Isolierung der Gestrauchelten von der Gesellschaft
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