Blutsverwandte: Thriller (German Edition)

Dad und Cleo stehen. Sie umarmten sich. Ihr wurde ein bisschen schlecht, also trat sie rasch ein Stück zurück und ließ die Jalousie herunter. Sollte Cleo etwa ihre neue Mom werden? Das war kaum vorstellbar.
    Sie machte eine Nachttischlampe an und setzte sich auf die Bettkante. Es war ein breites Bett. Sie war froh, dass sie die große, weiche Puppe mitgebracht hatte. Dadurch wirkte das Bett nicht so leer.
    Ohne Carrie fühlte sie sich einsam, und so sah sie eine Weile die Sachen durch, die sie für ihre Schwester mitgenommen hatte, als sie noch dachte, sie würden den Tag bei Großvater verbringen. Sie hatte sie eingepackt, um Dad zu täuschen, aber auch für den Fall, dass etwas schiefging und Carrie doch noch zu ihnen stieß. Sie griff nach Carries Kamera und dachte an den Ersatzplan, den sie geschmiedet hatten, nämlich bei Großvater Bilder von Carrie zu machen und sie an Ms. Kelly zu schicken. War das erst heute Morgen gewesen? Es war ein so langer und verrückter Tag gewesen.
    Sie schlüpfte in ihren Schlafanzug. Erst vor ein paar Stunden hatte sie bemerkt, dass die Reisetaschen voller neuer Kleider, Schlafanzüge und Unterwäsche waren, alles in den richtigen Größen. Es gab sogar eine für Carrie. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte sie sich über neue Kleider gefreut, doch nun sehnte sie sich nach ihrem bequemen alten Schlafanzug anstelle dieses neuen kratzigen. Sie beschloss, ihren Schlafsack auf die Tagesdecke zu legen. Wenigstens etwas Vertrautes.
    Schließlich holte sie ihren Zeichenblock und Farbstifte sowie eine Taschenlampe, die sie unten gefunden hatte, und ging ins Bett. Dort schrieb sie ihren Brief.
    Liebe Ms. Kelly,
ich bin die Schwester von Carla Ives. Bitte sagen Sie ihr,
dass wir in der Cold Creek Road 14 in den San Bernar
dino Mountains sind. Ich glaube, der nächste Ort heißt
Big Bear Lake. Wir sind im Haus von Cleo Fletcher.
Danke.
Mit freundlichen Grüßen,
Genie
PS: Bitte sagen Sie ihr, dass sie mir sehr fehlt.
    Sie hörte die Haustür aufgehen und machte rasch die Lampe aus. Den Zeichenblock, die Stifte und die Taschenlampe versteckte sie unter den neuen Kleidern in Carries Reisetasche, ehe sie rasch wieder ins Bett stieg.
    Sie stellte sich schlafend, als ihr Vater die Tür zu ihrem Zimmer öffnete. Dann hörte sie ein seltsames metallisches Geräusch.
    »Cleo, warte!«, flüsterte Dad von der Tür her.
    »Was zum Teufel ist das auf dem Kissen neben ihr?«, zischte Cleo.
    »Eine Puppe«, sagte er mit leiser und zitternder Stimme. »Nur eine Puppe.« Er hielt inne. »Ich glaube, sie vermisst Carrie. Bitte steck das Messer weg.«
    »Ich wollte sie nur beschützen«, sagte Cleo.
    »Ich weiß«, erwiderte er beruhigend. »Ich weiß. Du kümmerst dich um uns alle.«
    Genie hörte, wie er die Tür schloss und auf das Spiegelzimmer zuging. Cleos Schritte waren wesentlich leiser, folgten jedoch seinen.
    Genie drückte die Puppe an sich. Beim Einschlafen flüsterte sie der Puppe immer wieder die Worte »Broadway sechshundert, Las Piernas, Kalifornien« zu, denn laut einem kleinen Absatz in der Zeitung, den sie sich heute Morgen eingeprägt hatte, war das die Adresse des Las Piernas News Express.

51. KAPITEL
     
    DIENSTAG, 2. MAI, 22:30 UHR LAS PIERNAS
     
    Die Fragen nahmen kein Ende. Wenn ein Punkt über die Fletchers geklärt schien, traten zehn neue Fragen auf.
    Wir hatten zu wissen geglaubt, wer aus dem Haus in Huntington Beach verschwunden war, bis das Huntington Beach Police Department Fotos von Roy Fletcher und seinen Kindern veröffentlichte. Sie hatten Roys Digitalkamera entdeckt, und zum Glück waren die letzten Bilder noch nicht von der Speicherkarte gelöscht worden. Die Polizei deckte die Medien mit Fotos ein.
    Nachdem wir die Bilder gesehen hatten, lag nahe, dass die einzige Person aus Roy Fletchers Familie, die ihren rechtsgültigen Namen benutzte, Roy selbst war.
    Aufgrund einer Vermutung meinerseits, die sich aus der Geschichte von Reggie Faroes Mutter ergab, überprüfte man die Unterlagen aus Arizona. Daraus ging hervor, dass Roy zwar seine verstorbene Frau Bonnie dort unter ihrem richtigen Namen geheiratet hatte, sie diesen jedoch von da an nicht mehr führte. Nun erschien die Tatsache noch verdächtiger, dass ihr früherer Freund Reggie Faroe tot am Fuß einer Felswand aufgefunden worden war. Der Mann, mit dem sie durchgebrannt war, kam in der Wüste um, sie änderte ihren Namen, und sie nahm nicht nur ihre leibliche Tochter zu sich, sondern auch noch drei