Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
aus dem Staub.
Beim Wegfahren blickte ich in den Rückspiegel und ertappte Caleb dabei, wie er mir nachsah. Das war okay. Ich war auch neugierig auf ihn.
12. KAPITEL
MONTAG, 24. APRIL, 15:30 UHR EIN EINFAMILIENHAUS IN HUNTINGTON BEACH
Carrie lächelte versonnen vor sich hin, während sie das Mittagsgeschirr abwusch und sich darauf freute, danach gleich wieder mit Großvater Fletcher zusammen zu sein. Ihr Onkel und ihr Großvater waren überraschend zu Besuch gekommen. Onkel Giles war immer nett zu Carrie, doch am meisten freute sie sich, Großvater zu sehen. Alle liebten Großvater.
Ihre Schwester Genie und ihre Brüder waren bereits mit ihm oben, während Carrie den Abwasch machte. Mom und Dad waren in Dads Arbeitszimmer und besprachen etwas mit ihrem Onkel. Familienangelegenheiten. Onkel Giles leitete Großvaters Privatschule, die Fletcher Academy. Carrie hätte gern gewusst, ob sie auch irgendwann dorthin gehen durfte. Hausunterricht war ja ganz okay, aber manchmal wünschte sie, sie würden öfter aus dem Haus kommen und auch andere Kinder treffen als ihre Cousins und Cousinen. Sie war immer besonders nett zu Onkel Giles, in der Hoffnung, er werde sie aufnehmen.
Heute waren ihre Eltern und Onkel Giles fast sofort zu einer gemeinsamen Besprechung verschwunden. Großvater hatte den Kindern eine kleine Pause genehmigt, ehe sie weiterlernten.
Carrie trocknete sich die Hände ab und ging nach oben ins große Spielzimmer. Großvater drehte sich um und zwinkerte ihr zu, als sie hereinhuschte, unterbrach jedoch nicht sein Klavierspiel, zu dem er Carries kleinen Brüdern Aaron und Troy etwas vorsang. Mit leuchtenden Augen drängten sich die Jungen so dicht wie möglich an ihn und sangen den Refrain mit. Es war ein Kinderlied, das Großvater selbst geschrieben hatte. Ihre neunjährige Schwester Genie zeichnete in aller Ruhe. Sie lächelte Carrie an und warf ihr einen hastigen Gruß in Gebärdensprache zu, ehe sie den Kopf wieder über den dicken Zeichenblock senkte, den ihr Großvater mitgebracht hatte.
Großvater hatte alle seine Enkel ein bisschen Gebärdensprache gelehrt, damit sie mit ihren beiden gehörlosen Cousins kommunizieren konnten. »Und wenn ich mal schwerhörig werde, könnt ihr auf die Art auch mit mir reden«, sagte er immer.
Wie üblich hatte er für jeden ein kleines Geschenk mitgebracht. Den Zeichenblock für Genie. Für Carrie eine Einwegkamera, bei deren Anblick Mom die Augen verdrehte, von der Carrie jedoch so begeistert war, dass Großvater über ihre Freude hatte schmunzeln müssen. Die Jungen hatten Bücher bekommen, die er passend zu ihren Lesekenntnissen und Interessen ausgesucht hatte – Troy eines über Dinosaurier und Aaron eines über Astronomie. Die Jungen liebten Bücher.
Carrie setzte sich auf den mit Kissen ausgelegten Fensterplatz am großen Erkerfenster und horchte auf den Text von Großvaters Lied, in dem es um die Planeten des Sonnensystems ging. Carrie war mittlerweile alt genug, um zu wissen, dass die meisten Lieder, die Großvater verfasste, mit Lernstoff zu tun hatten, weil Großvater das Unterrichten fast so sehr liebte, wie er Kinder liebte. Das Lied war genau das Richtige für die Jungen. Aaron war fünf und Troy sechs. Alle beide konnten die Namen der Planeten aufsagen, weil sie dieses Lied so gut kannten.
Carrie hatte die Planeten schon mit vier aufsagen können. Sie hatte sie ohne das Lied gelernt.
Großvater ging zu einem anderen Lied über, einem Lied über Regentropfen. Er sagte, es sei aus einem Film. Carrie, die ein Stück von den anderen entfernt saß, hörte es Großvater singen und sah zu, wie die Regentropfen die Scheibe entlangliefen.
Auf einmal bekam sie ein komisches Gefühl. In ihrem Kopf hörte sie eine andere Stimme das Lied singen. Eine Männerstimme, sanft und weich. Sie erinnerte sich an diese Stimme.
Jemand anders hat mir dieses Lied vorgesungen. Ein anderer Mann. Er hat es mir vorgesungen, damit ich keine Angst vor dem Gewitter habe, dem Donner.
Fast sah sie den Mann vor sich. Sie konnte sich seinen Geruch in Erinnerung rufen – es war ein angenehmer und heimeliger Geruch, vielleicht von seiner Seife oder seinem Shampoo. Dann, in Erinnerungsfetzen, die trotzdem ganz klar waren, sah sie den Mann. Er hatte blaue Augen, genau wie sie, und Haare vom gleichen dunklen Goldton. Und so rasch, wie die Bilder und Erinnerungen gekommen waren, verschwanden sie auch wieder.
Sie konzentrierte sich intensiver auf die Regentropfen. Irgendwann
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