Blutwelt
und sich in der Dunkelheit verstecken.
Der Plan war gut, der Plan war bereits zu einem Drittel gelungen, denn auch Gundula hatte mitgespielt. Bei ihr war es die Angst, die sie dazu trieb. Justine hatte sie durch Drohungen gefügig gemacht, und auch als normaler Mensch gehorchte sie.
Die Frau in der Lederkleidung huschte durch den Wald wie ein schwarzes Gespenst mit hellem Kopf. Sie kannte hier jeden Fußbreit Boden und auch den schnellsten Weg zum Ziel.
Hin und wieder schaute sie auf ihre verletzte Hand. Es war nur ein dunkler Fleck zurückgeblieben, nicht mehr. Sie verspürte nicht mal Schmerzen und konnte zufrieden sein.
Der letzte Schein eines blassen Mondes fiel hinab auf die Lichtung, die aussah, als wäre sie mit grauer Farbe bestrichen. Die Morgendämmerung drang immer weiter durch. Bäume warfen Schatten, aber nicht die blonde Bestie.
Sie verzog die Lippen zu einem breiten Lächeln, als sie den Pfahl und den daran festgebundenen Vampirjäger sah, dessen Haltung sich eigentlich nicht viel verändert hatte, zumindest nicht beim ersten Hinsehen. Beim zweiten schon, denn sein Kopf war noch stärker nach vom gesackt. Er bewegte sich nicht mehr und sah tatsächlich auf den ersten Blick aus wie ein Toter.
Das hatte Justine befürchtet. Sie wusste ungefähr, wie viel ein Mensch aushalten konnte. Bei Marek stimmte der Durchschnittswert wohl nicht mehr, denn er gehörte schon zu den Älteren. Einen Toten wollte sie nicht am Pfahl hängen haben. Es war wichtig, ihn am Leben zu erhalten. Allein wegen des Bluts und wegen John Sinclair, denn mit einem toten Freund ließ er sich nicht erpressen.
Justine beeilte sich jetzt, den Gefesselten zu erreichen, aber sie verhielt sich trotzdem vorsichtig, denn sie wollte nicht wieder mit dem Stein in Kontakt treten.
Von hinten trat sie an ihn heran. Die erste Kontrolle galt dem Herzschlag des Mannes. Die langen Sekunden der Spannung wichen einem beruhigenden Gefühl, als sie feststellte, dass sein Herz schlug. Für einen Weile verklärte sich ihr Gesicht. Sie genoss es einfach, dieses Klopfen zu spüren. Das Herz war die Pumpe, die das Blut durch die Adern trieb, deshalb liebte sie es auch so. Blieb es einmal stehen, war der Mensch tot. Und das brachte sie auch nicht weiter. Mit Leichen konnte sie nichts anfangen. Sie war kein Ghoul.
Ein Messer trug die Cavallo bei sich. Auch jetzt blieb sie fast an der Rückseite, als sie die Stricke losschnitt. Zuerst ging sie in die Hocke, säbelte an den Füßen und schaute dann für einen Moment zu, wie der Bewusstlose in den letzten Stricken hing und seine Beine nach unten baumelten.
Dann machte sie sich an den Handgelenken zu schaffen. Ein paar schnelle Schnitte mit der Klinge, dann war auch das erledigt. Marek wäre vom Pfahl gekippt und zu Boden geschlagen, hätte sie ihn nicht aufgefangen. Der kompakte Körper landete in ihren Armen, und sie trug ihn wie eine leichte Puppe ein paar Schritte zur Seite, wo sie ihn dann nieder legte.
Allein diese Bewegung zeigte, wie kraftvoll sie war. Justine Cavallo sackte nicht ein einziges Mal in die Knie.
Sie lud sich den noch immer bewusstlosen Marek auf die Schulter. Der Drang, sein Blut zu trinken, hielt sich in Grenzen, denn sie war noch satt vom Lebenssaft der dunkelhaarigen Dunja, den sie prickelnd in sich spürte.
Die Nacht war dunkel. Unheimlich für viele. Genau das Richtige für sie und ihre weiteren Pläne. Sie eilte mit ihrer Beute durch die Dunkelheit dem neuen Ziel entgegen...
***
War es der Weg in die Hölle oder der ins Licht, das uns die Auflösung bringen würde?
Bill und ich wussten es nicht. Aber wir mussten ihn weitergehen, um Klarheit zu gewinnen. Ein paar Mal wurde das Laub der Bäume durch Windstöße geschüttelt, denn hier standen die Nadelbäume lichter. Der Himmel über unseren Köpfen erhielt eine immer dunklere Farbe. Das Grau schob sich in- und übereinander. Helle Flecken dazwischen waren selten.
Unsere Gedanken waren bei Marek. Wir konnten nur hoffen, dass diese Gundula die richtige Spur war. Es gab eine Schwester, eine Dunja, wenn wir alles richtig begriffen hatten. Vermutlich lebte diese Dunja in dem Haus, das wir am Ende des Hohlwegs sahen. Und dort hofften wir, auch Frantisek zu finden. Hoffentlich lebend und nicht als Untoten, den wir dann vernichten mussten.
Uns beschäftigten die gleichen Gedanken. Nur sprachen wir nicht darüber. Der Ausdruck in unseren Gesichtern sprach Bände. Er passte sich allmählich der Düsternis der Umgebung an.
Gundula
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