Blutzeichen: Deadly Sins 2 - Roman (German Edition)
weißen Laken tropfte, sich dort zu einem Kreis ausbreitete und verschwand. Sie schluckte den Schrei hinunter, der in ihrer Kehle aufstieg.
Nachdem sie einmal geblinzelt hatte, war das Blut fort. Die panische Wut verblasste. Sie hatte fast – fast, aber nicht ganz – vergessen, wie der schwere Dolch sich in ihrer Hand anfühlte. Auch die Erinnerung an das übelkeiterregende Geräusch der Klinge, die Sehnen durchtrennte, auf Knochen stieß und eine unsichtbare Seele herausschnitt, um sie Dämonen zum Fraß vorzuwerfen, war noch da.
Es ist nicht real, sagte sie sich. Es ist nicht real!
Dieses Mantra wiederholte sie im Geiste, beteuerte sich selbst, dass es sich nur um einen Albtraum gehandelt und sie ganz sicher noch nie einen Menschen getötet hatte.
Die beklemmende Furcht aus dem Traum blieb. Das tat sie immer. Moira lebte tagein, tagaus mit dieser Angst, die sie bisweilen so tief in sich vergrub, dass sie beinahe glaubte, sie wäre vorüber. Aber in solchen Momenten log sie sich etwas vor.
Während der Albtraum verblasste, wurde ihre Sicht schwumm rig. Das fahle Morgenlicht, das an den Jalousierändern eindrang, sah wolkig und surreal aus, wie in ihrem Traum. Sie spürte, dass eine Vision nahte … was nicht sein konnte. Noch nie hatte sie im hellwachen Zustand eine Vision gehabt. Sie kamen stets in jenem Moment des Unbehagens direkt nach einem Albtraum, bevor Moira sich ins Bewusstsein zurückgekämpft hatte.
Jetzt aber war sie wach, das wusste sie, auch wenn alles um sie herum neblig wirkte und in ihrem Geist ein Film abzulaufen begann, den sie nicht sehen wollte. Instinktiv versuchte sie, die Bilder zu verscheuchen, doch das konnte sie nicht, egal, wie sehr sie sich anstrengte. In einem Schwall wurde ihr Verstand von Gedanken geflutet, die nicht ihre waren, von Erlebnissen, die sie nicht gehabt hatte, und von Gefühlen, die sie nie empfand. Keine Vision war jemals so wie diese gewesen. Bei keiner hatte sie derart deutlich, gleichsam mit jeder Pore, gespürt, wie das Böse in sie eindrang – bis sie schreien wollte.
Sie flog über den Kontinent und zurück, müde, angeödet und frustriert. Es gab viele Orte, an denen sie hätte bleiben können, aber keiner von ihnen reizte sie. Es war alles zu einfach. Körperliche Bedürfnisse machten einen schwach, und sie war alles andere als schwach. Sie wollte frei sein, war es aber nicht. Sie wollte Rache, und die konnte sie kriegen – wie sie überhaupt alles haben konnte –, wenn sie erst frei war.
Freiheit! Ihre Zeit war gekommen. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde sie stärker.
Dennoch war ihr Geist von etwas gefangen, das stärker war als sie. Wütend sträubte sie sich dagegen, doch sie blieb an die Erde gefesselt, und je mehr sie sich wehrte, desto schwächer wurde sie. Sie geriet ins Trudeln, drehte sich, wirbelte schneller und schneller, unkontrollierbar, schrumpfte …
Eine schwache dunkelhaarige Frau saß in einem Kreis und wartete auf sie. Sie kämpfte gegen die Falle, was zwecklos war. Sie befand sich auf der Astralebene, und ihr Anker rief sie zurück.
Jemand fing sie ein! Sie streckte sich, kämpfte und schwor Rache. Der Geist, der in diesem Körper wohnte, war idiotisch. Sie unterdrückte ihn, brutal, skrupellos …
Moira schrie vor Kopfschmerzen. Für einen Sekundenbruchteil glaubte sie, besessen zu sein. Sie schmeckte heißen Schwefel auf ihrer Zunge, fühlte das Böse unter ihrer Haut. Dann war es fort: die Vision, der Schmerz, alles. Alles, bis auf die Furcht.
Sie zitterte heftig. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Jemand befand sich in ihrem Zimmer. Ohne nachzudenken, griff sie nach dem Messer unter ihrem Kopfkissen und sprang aus dem Bett. Die Waffe hielt sie vor sich, um die dunkle Magie oder den Dämon abzuwehren, und schritt selbstbewusst auf den Feind zu.
»Moira!«
Rafe? Sie schluckte, blinzelte, versuchte klar zu sehen und blieb schwankend stehen. Er umfing ihr Handgelenk, und nun wurde ihre Sicht klarer. Sie war Zentimeter von ihm entfernt. Was, wenn sie ihn verletzt hätte? Sie hätte in einer Vision gefangen sein und ihn töten können!
»Du hast mich direkt angeguckt, aber mich nicht gesehen«, sagte er leise.
Sie schüttelte den Kopf, um den Nebel zu vertreiben, und sank auf die Bettkante.
Mühsam konzentrierte sie sich auf das, was eben geschehen war. Der Albtraum, das Aufwachen, die Vision. Sie hatte sich Rafe bis auf wenige Zentimeter genähert, ehe sie ihn erkannte.
Vielleicht hatte sie geschlafen
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