Blutzeichen
voller Kleidung und dem blinden Vertrauen, dass er Andrew Thomas irgendwie finden würde, auf die Reise in den Yukon.
Nachdem Horace in Haines Junction angekommen war, erkundete er den Ort und hielt unter den wenigen Fußgängern des Dorfes Ausschau nach Andrew Thomas.
Am fünften Morgen, als er sich gerade fragte, ob er einen riesigen Fehler begangen hatte, sah er den gleichen langhaarigen Mann, den er vor vielen Monaten in Murder One Books entdeckt hatte, beim Betreten von Madley’s Store, wo die Post gelagert wurde.
Horace war freudig erregt.
Am nächsten Tag, seinem vierundzwanzigsten Geburtstag, mietete Horace einen heruntergekommenen Wohnwagen am Dorfeingang und begann sorgfältige Notizen für das Buch zu machen, das ihn zu einem reichen, berühmten und viel gelesenen Autor machen würde.
Während seiner zweiten Woche im Yukon schlich er sich spätabends zu Andrew Thomas’ Grundstück und beobachtete die Hütte mit einem Fernglas.
In der nächsten Woche kroch er bis an ein Seitenfenster der Hütte heran und beobachtete, wie der Mann sein Geschirr abwusch und bis spät in die Nacht auf seiner Galerie schrieb.
Nun, nachdem der Oktober schon weit vorangeschritten war und Horace mittlerweile seine vierte Woche in Haines Junction verbrachte, beschloss er, seine erste richtige Chance wahrzunehmen.
Es war Montagmorgen und der vor zwei Tagen gefallene Schnee lag noch im Schatten des Waldes. Vor dem irisblauen Himmel zeichnete sich noch die blasse Kontur des Vollmonds ab – ein bewölktes, trübes Auge.
Horace saß hinter dem Steuer seines Land Cruiser, den er immer an der gleichen Stelle zwischen den Bäumen parkte. Andrew Thomas’ Jeep kam pünktlich in Richtung Dorf vorbei und zog eine Staubspur hinter sich her. An diesem ruhigen Morgen würde es fast eine Stunde dauern, ehe sich der Staub wieder gesetzt hatte.
Horace klappte sein lilafarbenes Spiralnotizbuch zu und legte es auf den Beifahrersitz.
Er hatte bereits das zweite Kapitel aus dem Gedächtnis skizziert und dem Ganzen den vorläufigen Titel Die Jagd nach dem Bösen – Meine Suche nach Andrew Thomas gegeben. Die Idee des Buches erregte ihn dermaßen, dass er schon unter Schlafstörungen litt. Der Plan konnte gar nicht fehlschlagen, denn vermutlich wusste außer ihm niemand auf der ganzen Welt, wo sich der fürchterlichste Mörder des letzten Jahrzehnts aufhielt.
Horace war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen.
Er war nicht gut aussehend.
War in der Schule nie beliebt gewesen.
Schreiben war alles, was er hatte.
Nachdem er vierundzwanzig Jahre lang sein blödes Konterfei im Spiegel betrachtet hatte, glaubte er jetzt ein Recht auf Erfolg zu haben.
Horace stieg aus dem Land Cruiser und ging den wenig ausgetretenen Pfad bis zu Andrews Hütte entlang. Dabei gab er Acht, dort, wo noch Schnee lag, keine Spuren zu hinterlassen.
Bald schon konnte er die Hütte zwischen den Bäumen erkennen.
Er erreichte die vordere Veranda.
Drehte den Türknauf.
Seine Vermutung erwies sich als zutreffend: Menschen, die in der Wildnis lebten, sahen keinen Grund, ihre Türen abzuschließen.
Mit wild schlagendem Herzen betrat er die Hütte, hin- und hergerissen zwischen heller Begeisterung und blankem Entsetzen. Er knöpfte seine Jacke auf, warf sie über die Lehne eines Sofas und befahl sich selbst, ruhig zu werden. Er würde Andrews Jeep auf der Zufahrt hören, lange bevor er die Hütte erreicht hätte.
Er machte vorsichtig ein paar Schritte und schaute sich das Heim des Monsters genau an, um sich jedes Detail einzuprägen – die Küchenspüle voller Teller, die Reste eines Pie auf dem Küchentisch, rauchende Asche im Kamin, dessen Feuer gelöscht worden war, ein Bärenfell zu seinen Füßen. Es roch nach verbranntem Holz, gekochten Himbeeren, getrocknetem Wildbret und Fichten. Die Dielen ächzten unter ihm. Er konnte es nicht fassen, dass er tatsächlich hier war.
Er öffnete die Schnürsenkel seiner Stiefel und stieg auf Socken die Leiter zur Galerie empor. Sein Blick blieb zunächst an dem Poster von Edgar Allan Poe mit den düsteren, melancholischen Augen hängen. Dann las er einen der zahlreichen Notizzettel, die an den Dachbalken klebten:
Beschreibe die Frau in Rock Springs mit der flauschigen rosa Jacke, die Orson im Kofferraum schreien hörte.
Nachdem Horace vorsichtig über die aufgefaltete Straßenkarte von Wyoming getreten war, stand er vor dem von Bücherregalen gerahmten Schreibtisch, dessen Tischplatte mit einer
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