Boardwalk Empire
der nur, es gäbe keinen Grund, »sich Ärger einzuhandeln«.
Die ersten Berichte der Kommission versetzten Gouverneur Fort in Rage. Am 27. August 1908 verkündete er öffentlich, dass Atlantic City ein »Hort des Lasters« 42 sei, und drohte damit, das Kriegsrecht auszurufen und die Miliz in die Stadt zu schicken, wenn sie sich weigerte, die Saloons an den Sonntagen zu schließen. In der Proklamation hieß es:
Die Amtsträger fragen sich nicht, wie es möglich sein kann, dass es in Atlantic City Straßenstrich, Glücksspiel, Bordelle, Menschen übelsten Rufes, obszöne Bilder und offene Missachtung geltender Steuergesetze gibt. Der Straßenstrich war niemals schlimmer als jetzt, das Glücksspiel niemals öffentlicher, und das alles unter den Augen der Behörden. 43
Die Politiker begegneten dem Gouverneur mit ihrer bewährten Verteidigungsstrategie: Sie ignorierten ihn. Doch die Geschäftsleute waren sauer und gingen zum Gegenangriff über: Am 8. September schickten sie ein gemeinsames Schreiben des Atlantic City Board Of Trade , der Hotel Men’s Asscociation und der Businessmen’s League an Gouverneur Fort. Im »Atlantic City Manifesto« beklagten sie, dass der Gouverneur die Stadt unfair und allzu harsch beurteile. Das Glücksspiel, die Prostitution und der Alkohol seien lediglich »besondere Ausprägungen« an einem traditionellen und gastfreundlichen Urlaubsort. Der Frontalangriff gegen den Gouverneur wurde auch im Bulletin abgedruckt:
Die Excise-Kommission wollte von heute auf morgen den Ausschank von Alkohol an Sonntagen verbieten. Nachdem man die Stadt fünfzig Jahre lang in Ruhe gelassen hat, kann sie diese Auflage mitten in der Sommersaison unmöglich erfüllen. Sie bittet die Gesetzgeber, die geltenden, allzu harten Gesetze abzuändern. Der Versuch, etwas Falsches zu unterbinden, hat dazu geführt, dass unnötigerweise Dinge verboten wurden, die niemand als schädlich bezeichnen kann und die dringend notwendig sind für den Haupterwerbszweig unseres Bezirks, den Seebad-Tourismus. 44
Ende Dezember verfasste Forts Ausschuss seinen Abschlussbericht. Bis dahin hatte sich der öffentliche Ärger aber längst gelegt, und die Empfehlungen des Berichts waren genauso schnell vergessen wie die Vorwürfe des Gouverneurs. Der schlechte Ruf der Stadt störte niemanden, und im nächsten Sommer war wieder alles beim Alten.
Je beliebter die Stadt wurde, desto wichtiger wurde auch die Zusammenarbeit von Politikern und Geschäftsleuten. Jeder in der Stadt lebte hauptsächlich von den Gewinnen aus den drei Sommermonaten. Wenn die Hauptsaison schleppend verlief, konnte das einen langen und ungemütlichen Winter zur Folge haben. Ohne das Wohlwollen der Gemeinde hätten es die Lieferanten von »Schnaps, Bräuten und Glücksspiel« schwer gehabt. Die Bürger der Stadt wussten um die Bedeutung der Vergnügungsbranche und befürworteten deren Schutz vor polizeilichen Übergriffen. Von Anfang an war die Polizei angewiesen wegzusehen. Egal, was es war, solange es Gäste und Geld in die Stadt brachte, verstieß es nach der hier vorherrschenden Meinung nicht gegen das Gesetz.
Je professioneller die Geschäfte der Stadt wurden, desto organisierter wurden die Verbindungen von Politik und Unterhaltungsgeschäft. Die Politiker registrierten, wie gut die verbotenen Dienstleistungen liefen, und wollten ihren Teil vom Kuchen abhaben. Schon vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts waren informelle Allianzen zwischen der Politik und den Betreibern illegaler Geschäfte an der Tagesordnung. Die wichtigsten Entscheidungen wurden von drei Männern getroffen: dem Verwaltungsbeamten Louis Scott, dem Kongressabgeordneten John Gardner und Sheriff Smith Johnson, wobei Scott als inoffizieller Anführer galt. Sein wichtigster Gefolgsmann und Schützling war der junge Hotelbetreiber Louis Kuehnle.
Kuehnle wurde am 25 . 12 . 1857 in New York geboren. Er war ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern, dunkelbraunen Augen, einer rötlichen Gesichtsfarbe und einer Glatze, die er meistens unter einem Hut versteckte. Kuehnle rauchte ständig Zigarre, trug feine Anzüge und ging gerne mit seinen Freunden einen trinken. Er war ein großer Hundeliebhaber – sein Terrier Sparkey begleitete ihn fünfzehn Jahre lang überall hin, egal ob in Stadtratssitzungen, Restaurants oder in die Kirche. Kuehnles Eltern waren deutsche Immigranten, die sich zunächst in New York niedergelassen hatten, wo sein Vater als angesehener Küchenchef tätig war. Die
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