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Boardwalk Empire

Boardwalk Empire

Titel: Boardwalk Empire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Johnson
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Pullover und Kleider, stellte Zucker und zahllose weitere Produkte her, die für die aufblühende Wirtschaft des Landes notwendig waren. Die Gießereien Philadelphias deckten zudem ein Drittel des gesamten Eisenbedarfs des Landes, von Schrauben, Bolzen, Gewinden, Hufeisen, Werkzeugen und Maschinenteilen bis hin zu gusseisernen Häuserfronten, Schiffsplatten, Drehscheiben für Lokomotiven, Aufzügen, Eis- und Nähmaschinen. Auch die Textilindustrie war weltweit führend. 1904 war ein Drittel der 25 0 000 Industriearbeiter der Stadt in den Textilfabriken beschäftigt und stellte ein Fünftel des Wollbedarfs Amerikas her.
    Philadelphias Fabriken sorgten für eine Flut von ungelernten Zuwanderern. Die Arbeit in den Fabriken war nicht besonders angenehm und für viele eine traumatische Erfahrung. Die Umstellung auf Massenproduktion verlangte von den Arbeitern schnelle monotone Bewegungsabläufe, was im völligen Gegensatz zum europäischen Handwerk stand, in dem ein einziger Arbeiter aus Rohstoffen das komplette Produkt herstellte. Die Industriearbeiter standen Tag und Nacht unter der Herrschaft der Maschinen. Die industrielle Fertigung setzte die Hierarchien der Alten Welt aus Lehrlingen, Gesellen und Meistern außer Kraft, hier wurde niemand mehr aufgrund seiner Qualifikation oder seiner Erfahrung befördert. Die Arbeit war erniedrigend, und es bestand keine Hoffnung auf spätere Selbstständigkeit, etwa durch einen Meistertitel. Das Industriezeitalter verbreiterte die Kluft zwischen Arm und Reich und stellte eines klar: Der Mensch hatte sich ab jetzt dem Kapital unterzuordnen.
    Als sich Philadelphia zum Industrieriesen aufschwang, verdienten viele Immigranten recht gut. Doch um in die bessere Gesellschaft Philadelphias aufzusteigen, reichte Geld nicht aus. Ein britischer Reisender beschrieb es so: »Nirgendwo macht sich das Exklusivdenken der amerikanischen Gesellschaft so bemerkbar wie in Philadelphia.« Auch wenn Penns Vision einer rein christlichen Stadt sich nicht erfüllte, entwickelte sich Philadelphia aufgrund seiner religiösen Wurzeln zu einer äußerst konservativen und traditionsverhafteten Stadt. Nur widerwillig akzeptierte ihre Oberschicht die irischen, italienischen oder jüdischen Zuwanderer, die in ihren Fabriken arbeiteten. Aus dem gesellschaftlichen Leben blieben sie weiterhin ausgeschlossen.
    Eine Institution, die sich aufgrund der wachsenden Masse von Arbeitern entwickelte, war der »Corner Saloon«. Dabei handelte es sich um bessere Holzschuppen vor den Toren der Fabrik. Es gab sie zu Tausenden, denn sie servierten den Arbeitern nach ihrer Schicht Bier und Schnaps für einen Penny pro Glas. Daraufhin wandte sich eine einflussreiche, durch die Oberschicht gestützte Mäßigungsbewegung gegen diese winzigen Eckkneipen. 1887 sahen sich die Stadtoberen gezwungen, die Brooks-Gesetze einzuführen, wodurch die Vergabe von Schanklizenzen empfindlich eingeschränkt wurde. In nur einem Jahr verringerte sich die Zahl der Genehmigungen von 5773 auf 1343. Zusätzliche Sperrstundenregelungen und die Sunday Blue Laws genannten Feiertagsvorschriften schränkten den Konsum von Alkohol empfindlich ein. Die Stadt sollte gottesfürchtig und nüchtern bleiben.
    Philadelphias Arbeiter fanden schnell heraus, wo sie sich stattdessen vergnügen konnten. Für Quäker hatte Atlantic City nichts übrig. Hier gab es weder Prüderie noch Predigten gegen den sündhaften Alkohol, das Glücksspiel und den Sex. Wer Urlaub am Meer machte, ließ die Tugendhaftigkeit zu Hause.
    Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Atlantic City bei den Fabrikarbeitern Philadelphias immer beliebter. Geschäftsleute, Schausteller, Händler, Glücksspielbetreiber und Bordellmütter gaben ihr Bestes, um die Besucher zufriedenzustellen. Schließlich war das die einzige Daseinsberechtigung der Stadt. Oder wie es ein langjähriger Einwohner formulierte: »Wären die Leute wegen Bibellesungen in die Stadt gekommen, hätten sie die bekommen. Aber keiner hat je nach einer Bibellesung gefragt. Sie wollten Schnaps, Bräute und Glücksspiel, und genau das haben wir ihnen gegeben.« 38
    Die Fabriken Philadelphias waren im Sommer die reinsten Glutöfen. Nach sechs Tagen, an denen sie fortwährend Textilstaub eingeatmet hatten oder brennender Asche ausgewichen waren, wollten die meisten Arbeiter nur raus. Die Sommersonntage verbrachte man nicht in der Kirche, sondern sprang in den Zug und fuhr runter ans Meer. Dort erwartete sie eine Stadt, die bereit war für jede Art

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