Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boardwalk Empire

Boardwalk Empire

Titel: Boardwalk Empire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Johnson
Vom Netzwerk:
war.
    Vermutlich hätte die Stadt problemlos ohne die Prostitution auskommen können, aber sie gehörte nun einmal zum Gesamtpaket. Unter keinen Umständen wollte man die Bordelle schließen. Das Bulletin mochte über das Geschäft mit der Fleischeslust herziehen, die meisten Freier kamen dennoch aus Philadelphia nach Atlantic City, weil sie nur dort bekamen, was es zu Hause nicht gab. Die Städte waren zudem nur sechzig Kilometer voneinander entfernt, ein touristischer Austausch ließ sich nicht vermeiden. Auch wenn man Pitneys kleines Seebad heute gerne ein wenig romantisiert, war Atlantic City für Philadelphia doch nichts anderes als Coney Island für New York: ein preisgünstiges Vergnügungsviertel am Meer für die Arbeiterschicht. Die Reichen konnten gern auf Cape May bleiben – Atlantic City freute sich über die Arbeiter aus der Quäkerstadt.
    Die »Stadt der Bruderliebe« (»City Of Brotherly Love«, eine freie Übersetzung des griechischen Worts »Philadelphia«; A . d . Ü.) war nie als Stadt der rauschenden Feste bekannt. 1681 wurde sie als eine Art religiöse Versuchsanordnung von William Penn, einem wohlhabenden Quäker aus England, gegründet, in der Hoffnung, einen Ort zu schaffen, an dem Christen im spirituellen Einklang miteinander leben konnten. Penn träumte von einer eigenen Quäker Stadt. Er hatte genug von den politischen Grabenkämpfen und Glaubenskriegen Europas und installierte deshalb in seiner neuen Stadt auch keine Regierung, sondern setzte auf die »Liebe unter Brüdern«. Angezogen von der religiösen Toleranz zogen Quäker, Anglikaner, Presbyterianer und Baptisten in die Stadt, in der sich eine gottesfürchtige Bürgerschaft mit einem strengen moralischen Kodex zusammenfand. Die Ideale der Quäker waren Aufrichtigkeit und Erfolg im Beruf und ein tugendhaftes Leben in Familie und Kirche. Nichts beherzigten die Quäker so wie das Sprichwort »Blut ist dicker als Wasser«. Nachdem sie in Europa verfolgt worden waren, verteilten sie sich über den gesamten Erdball und ließen sich vor allem in Hafenstädten nieder, die Handel mit Philadelphia betrieben. Ihre Sitten verlangten, dass sie sich untereinander im Detail über Preise und Waren austauschten, wovon ihre Kaufleute profitierten.
    Aus Philadelphia wurde die Hauptstadt der Kolonien und die reichste Hafenstadt der Neuen Welt, obwohl sie erst fünfzig Jahre nach Boston gegründet wurde. Der Wohlstand der Stadt beruhte vor allem auf dem Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Pennsylvania im Tausch gegen fertige Produkte aus Europa. Während der Kolonialzeit war Philadelphia vor allem für seine Kaufleute, Schiffsbauer und Seeleute bekannt. Als wichtigste Hafenstadt spielte sie in den Beziehungen zwischen England und den amerikanischen Kolonien eine Schlüsselrolle. Nach der Revolution entwickelte sich die Stadt dank des Reichtums der Quäker zu Amerikas erster Industriestadt. 37
    In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandte sich Philadelphia vom Meer ab und konzentrierte sich auf das Landesinnere. Um 1825 fuhr die Stadt reichhaltige Erträge aus dem Kohle- und Eisenabbau im Nordosten Pennsylvanias ein und war Vorreiter in der Eisenverarbeitung und berühmt für ihre schweren Maschinen und kunstvollen Eisenverzierungen. Doch Eisen und Kohle waren nur ein Teil des Geschäfts, man verarbeitete auch Baumwolle und andere Stoffe in über mehr als 260 entsprechenden Betrieben. Mit preiswerter Kohle erzeugte man Dampfkraft für die Textilindustrie und hatte so einen Vorteil gegenüber anderen Städten. Während des Bürgerkriegs wurde sogar die Unionsarmee von Textilfabriken aus Philadelphia beliefert.
    Nach den Sezessionskriegen verwandelte sich William Penns Quäkersiedlung in einen Industriegiganten. 1860 betrug die Bevölkerung noch 56 5 000, 1900 waren es schon 1,3 Millionen. Um die Jahrhundertwende galt Pennsylvania als die »Schmiede Amerikas«, das Zentrum der Schwerindustrie für Kohle, Eisen und Stahl. New York war der »Schmelztiegel« und Chicago die »Stadt der breiten Schultern«, aber die industrielle Revolution wurde in Philadelphia vorangetrieben. Die ersten Fabriken des Landes entwickelten sich aus den Baumwollmühlen in New England, aber erst Philadelphia perfektionierte diese Betriebsform. Fast hundert Jahre lang besaß die Stadt die umfangreichste Industrie des Landes. Man produzierte Kriegsschiffe für Weltmächte und Dampfmaschinen für die Eisenbahngesellschaften, man baute Traktoren und Trucks, nähte

Weitere Kostenlose Bücher