Boardwalk Empire
heranwachsende Tourismusindustrie lockte die Familie nach Atlantic City. Kuehnles Vater hatte bereits in New York ein kleines Vermögen erwirtschaftet, und in Atlantic City gelang ihm der Sprung vom Chefkoch zum Hotelbesitzer. Er kaufte ein großes Hotel in Egg Harbour City, einer Gemeinde auf dem Festland, und nannte es New York Hotel . In Atlantic City selbst eröffnete er Kuehnle’s Hotel . Es wurde kurz nach Richards’ zweiter Eisenbahn in guter Lage im Norden der Stadt unmittelbar neben dem Bahnhof gebaut. Das Hotel war ein für diese Zeit typisches längliches Gebäude, hatte einen rund um das Haus führenden Balkon, viktorianische Zierarchitektur und war mit Korbmöbeln ausgestattet. Kuehnle’s Hotel war das ganze Jahr über ein beliebter Treffpunkt der Einheimischen. Mit achtzehn übernahm Luis Kuehnle die alleinige Geschäftsleitung und überwachte jede Kleinigkeit, vom Wechseln der Bettbezüge, dem Reinigen der Hotelbar bis zum Bedienen der Gäste im Speisesaal. Kuehnle war ein klassischer Hotelier, der sich in der Rolle des Gastgebers wohlfühlte. Dank seines Hotels war er schon bald in der ganzen Stadt bekannt, galt als großzügig und spendete für die Armen. Später trat er dem Atlantic-City-Yacht-Klub bei, wo er als Vorsitzender äußerst aktiv war. Dort verlieh man ihm auch den Spitznamen »Kommodore«, den er sein Leben lang behielt. Zwanzig Jahre lang versammelte der Kommodore eine große Gefolgschaft um sich, indem er vielen Leuten alle möglichen Gefallen erwies und sein Hotel für Zusammenkünfte zur Verfügung stellte. Kuehnle’s Hotel wurde von allen schlicht »the Corner« genannt. Die Regierungskoalition aus Scott, Gardner und Johnson traf sich regelmäßig dort zu strategischen Besprechungen oder um sich Anliegen ihrer Wähler anzuhören. Sie hielten Audienz auf der Veranda, boten Schutz an und verteilten Vergünstigungen. Bald schon musste jeder, der etwas von dem Triumvirat wollte, sich zuerst mit Kuehnle arrangieren, denn Scott und seine Kollegen vertrauten ihm blind, sodass Kuehnle einen ernormen Einfluss bei politischen Entscheidungen erhielt. Als Scott im Jahr 1900 verstarb und weder Gardner noch Johnson weiter ihren Einfluss geltend machen wollten, stieg Kuehnle zur Nummer eins auf. Schon kurz nach Scotts Tod wurde aus dem Kommodore der »Boss«. Von nun an mussten jeder Anwärter auf ein öffentliches Amt, jedes neue Unternehmen und jeder Arbeitsvertrag von ihm genehmigt werden. Wer ein Problem hatte, wandte sich an den Kommodore.
Die Angriffe durch die Presse aus Philadelphia und reformwütige Gouverneure versetzten die Bevölkerung auch weiterhin jedes Jahr in helle Aufregung. In Kuehnle’s Hotel fanden zahllose nächtliche Besprechungen statt, in denen der Kommodore den Politikern erklärte, dass jede Form öffentlicher Aufmerksamkeit dem Geschäft nützte. Es heißt, Kuehnle habe auf die Drohung von Gouverneur Fort, die Armee in die Stadt zu entsenden, mit dem Vorschlag reagiert, ein Empfangskomitee von Huren zum Bahnhof zu schicken.
Der engste Verbündete von Kuehnle war Sheriff Smith Johnson, der von 1890 bis 1908 im Amt war. Nach dem Gesetz konnte ein Sheriff nicht sein eigener Nachfolger werden, und so wechselte Johnson ins Amt des Hilfssheriffs, als seine erste Amtszeit vorbei war, und ernannte seinen Stellvertreter Sam Kirby zum Sheriff. Kirby ernannte wiederum Johnson zum Hilfssheriff, und so ging das zwanzig Jahre lang weiter. In seiner Zeit als Polizeichef kassierte und verwaltete Johnson die Gebühren und Schutzgelder in seiner Behörde. Es gab Gebühren für Mahnverfahren, Zwangsversteigerungen von Immobilien, auf zivile Gerichtsverfahren und die Aufnahme von Häftlingen ins Bezirksgefängnis. Die Einnahmen betrugen 5 0 000 Dollar im Jahr, zu einer Zeit, in der das Hin-und-Rückfahrt-Ticket von Philadelphia nach Atlantic City noch einen Dollar kostete. Diese Gebühren wurden offiziell zum Einkommen des Sheriffs gerechnet, und er musste sie lediglich seinen politischen Verbündeten gegenüber rechtfertigen. Johnsons Gebühren und die Schutzgelder aus den Glücksspielhäusern, Saloons und Bordellen finanzierten aber vor allem Kuehnle und seine Organisation. Als das Gebührensystem gesetzlich verboten wurde und man das Jahresgehalt eines Sheriffs per Gesetz auf 3500 Dollar beschränkte, erpresste Kuehnle noch mehr Schutzgelder, und so wurde die Unterhaltungsbranche endgültig zur Melkkuh der Republikanischen Partei in Atlantic City.
Dennoch basierte Kuehnles
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