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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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betreten durfte, um Geschäfte zu machen. Mir wurde übel, wenn ich zusehen musste, wie sie im Innern der Bahnhofshalle die Leute belästigten. Manchmal standen sie direkt an den Drehkreuzen, damit ihnen ja niemand entkam. Wenn diese Fahrgäste dann nach oben kamen, hatten sie keine Lust mehr, auch noch eine Zeitschrift zu kaufen.
    Ich erlebte hier so etwas wie die andere Seite der Medaille. In Covent Garden war ich der Regelbrecher gewesen, der nicht im vereinbarten Bereich blieb und die Gesetze ziemlich locker auslegte. Jetzt war ich der Leidtragende solcher Typen.
    Ich war der einzige Straßenverkäufer mit Lizenz für meinen Platz vor der Angel Station. Ich hielt gebührenden Abstand von allen Plätzen, die von Kollegen besetzt waren, besonders vom Blumen- und Zeitungsstand. Ich hatte meine Lektion gelernt. Aber die Spendensammler, Dosenschüttler und Straßenhändler setzten sich rücksichtslos über alle Gesetze der Straße hinweg.
    Man könnte meine Probleme als Ironie des Schicksals bezeichnen, aber manchmal mochte ich darüber nicht mehr lachen.

17
    Achtundvierzig Stunden
    I n der Drogenambulanz setzte ein junger Arzt seine Unterschrift auf mein Rezept. Seine Miene war ernst, als er es mir aushändigte. Dann schärfte er mir nochmals ein: »Bitte denk daran, nimm das noch und komm dann frühestens nach achtundvierzig Stunden wieder. Erst wenn du die Entzugserscheinungen nicht mehr aushältst.« Dabei sah er mich prüfend an, wohl um zu ergründen, wie ernst es mir war. »Das wird nicht einfach, James, vor allem, wenn du dich nicht daran hältst, was ich dir gesagt habe. Okay?«
    »Okay, ich hab’s verstanden«, versicherte ich ihm. Dann stand ich auf, um den Behandlungsraum zu verlassen. »Ich will es wirklich schaffen. Bis in zwei Tagen dann.«
    Zwei Monate waren vergangen, seit wir bei einem meiner regelmäßigen Termine im Drogenzentrum über das Absetzen meiner täglichen Dosis Methadon gesprochen hatten. Damals war ich wild entschlossen gewesen, aber meine Ärzte und Berater waren anderer Meinung. Bei jedem meiner Termine verschoben sie den von mir gewünschten Methadon-Entzug. Eine Erklärung dafür gab mir keiner. Endlich sahen sie die Zeit gekommen. Ich durfte den letzten Schritt in die Unabhängigkeit machen und mich aus den Klauen dieser stimmungsdämpfenden Ersatzdroge befreien.
    Das Rezept, das ich gerade vom Arzt bekommen hatte, war die letzte Dosis Methadon in meinem Leben. Ich hatte es gebraucht, um vom Heroin loszukommen. Aber inzwischen hatte ich die Dosis so weit reduziert, dass ich es nun ganz absetzen konnte.
    Wenn ich in achtundvierzig Stunden zur Drogenambulanz zurückkäme, würden sie mir Subutex geben, ein viel schwächeres, eher anregendes Medikament. Damit würde ich den Schritt in ein komplett drogenfreies Leben schaffen.
    Mein Arzt hatte die Phase meines Entzuges, die nun auf mich zukam, mit der Landung eines Flugzeuges verglichen. Diese Metapher gefiel mir. In den nächsten Monaten würde er meine tägliche Ration Subutex langsam auf ein Minimum reduzieren. Mit Methadon ist das nicht möglich. In dieser Zeit würde ich sozusagen langsam auf die Landebahn zusteuern und am Ende – hoffentlich! – nur mit einem ganz leichten Ruck aufsetzen. Während ich auf mein Rezept wartete, dachte ich nicht weiter über die Bedeutung dieses tiefsinnigen Vergleichs nach. Viel mehr lagen mir die nächsten achtundvierzig Stunden im Magen.
    Mein Arzt hatte mir die Risiken detailliert beschrieben. Es war nicht so einfach, Methadon abzusetzen, es war vor allem sehr unangenehm. Ich kannte die Auswirkungen des »Cold Turkey«, der Entzugserscheinungen beim plötzlichen Absetzen von Heroin. Methadon-Entzug verursacht die gleichen Symptome. Sie würden nach etwa vierundzwanzig Stunden langsam einsetzen. Es war wichtig, all die dazugehörigen Beschwerden weitere vierundzwanzig Stunden auszuhalten, bevor ich die erste Dosis Subutex einnehmen durfte.
    Würde ich Subutex zu früh einnehmen, setzten die Entzugserscheinungen sofort und vehement ein. Das Methadon musste erst komplett vom Körper abgebaut sein, damit die beiden unterschiedlichen Ersatzdrogen keinen Spontan-Entzug verursachten, der viel schlimmer wäre als der langsam einsetzende Methadon-Entzug. Ich wollte gar nicht daran denken.
    Momentan fühlte ich mich stark genug, die Vorgaben genau einzuhalten. Trotzdem quälte mich der Gedanke, im entscheidenden Moment schwach zu werden. Die Schmerzen nicht mehr auszuhalten, sodass ich »alles« tun

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