Bob, der Streuner
stillsitzen. Es war spät nachts, und unter anderen Umständen hätte ich längst geschlafen. Irgendwann bin ich doch eingenickt, aber es fühlte sich an, als wäre ich die ganze Zeit wach. Es war ein seltsamer Schlaf, vollgestopft mit Träumen, die schon eher Halluzinationen waren, so echt fühlten sie sich an.
Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau an diese Träume, nur, dass ich in jedem einzelnen Traum Heroin nehmen wollte. Mal verschüttete ich es, mal bekam ich die Nadel nicht in meine Venen, und beim nächsten Mal wurde ich von der Polizei festgenommen, natürlich bevor ich mir den Schuss setzen konnte. Es war eigenartig. Als versuchte mein Körper, auf diese Weise mit dem Entzug der Droge umzugehen, die er sonst regelmäßig alle zwölf Stunden bekam. Und mein Unterbewusstsein versuchte mir zu sagen, dass es eine gute Idee wäre, wieder damit anzufangen. In meinem Körper tobte ein Kampf zwischen Gut und Böse. Dabei fühlte ich mich fast wie ein Zuschauer, der daneben stand und gaffte. Es war komisch. Mein Heroinentzug vor Jahren war nicht halb so schlimm gewesen wie das hier. Der Wechsel zu Methadon war damals ganz unkompliziert gewesen, ohne körperliche Beschwerden.
Ich verlor jedes Zeitgefühl. Als es draußen hell wurde, bekam ich unbeschreibliche Kopfschmerzen. Vielleicht vergleichbar mit Migräne, denn ich konnte weder Licht noch das leiseste Geräusch aushalten. Also machte ich die Fenster dicht und saß im abgedunkelten Raum. Aber dann kamen diese Halluzinationsträume wieder. Ich brauchte all meine Willenskraft, um wieder wach zu werden. Ein Teufelskreis. Was ich jetzt wirklich brauchte, war eine Ablenkung, eine Beschäftigung. Bob war meine Rettung.
Manchmal frage ich mich, ob Bob und ich via Telepathie verbunden waren. Er kann wirklich meine Gedanken lesen. Auch in diesem Moment: Er wusste genau, dass es mir schlecht ging, und er ließ mich nicht aus den Augen. Er blieb in meiner Nähe, kuschelte sich an mich, wenn ich ihn dazu einlud, und zog sich etwas zurück, wenn es mir total schlecht ging. Er schien immer zu wissen, was ich gerade brauchte. Manchmal, wenn ich einnickte, stupste er mir sein kaltes Näschen ins Gesicht, als wolle er sagen: »Hey, alles klar? Ich bin da, wenn du mich brauchst.« Die meiste Zeit saß er aber einfach nur neben mir und schnurrte, oder er strich um mich herum. Manchmal spürte ich seine kleine, raue Zunge auch kurz auf meiner Stirn oder Wange. Immer wieder tauchte ich in dieses unheimliche Parallel-Universum aus Halluzinationen ab. Und es war Bob, der mich immer wieder rausholte. Er war mein Rettungsring, denn er ließ mich nicht untergehen, sondern holte mich immer wieder an die Oberfläche, zurück in die Realität.
Bob war noch aus vielen anderen Gründen ein Geschenk des Himmels in diesen schweren Stunden. Er lenkte mich ab und gab mir etwas zu tun. Ich musste ihn füttern – und ich hielt seine Zeiten auch in diesen achtundvierzig Stunden eisern ein. Diese einfachen Aufgaben – in die Küche gehen, Dose öffnen, das Futter in der Schüssel durchmischen – bildeten genau die Beschäftigungstherapie, die ich brauchte. Mit Bob nach unten zu gehen, damit er sein Geschäft erledigen konnte, war mir allerdings zu viel. Aber ich öffnete ihm die Wohnungstür. Er zischte davon und war nach wenigen Minuten wieder da. Es hatte fast den Anschein, als wollte er mich nicht länger als nötig aus den Augen lassen. Streckenweise ging es mir besser. Am Morgen des zweiten Tages zum Beispiel. Ich spielte ein bisschen mit Bob und las in einem Buch. Das war zwar nicht einfach, da ich mich kaum konzentrieren konnte, aber Hauptsache Ablenkung. Das Buch über die wahre Geschichte eines amerikanischen Marinesoldaten, der in Afghanistan Hunde rettet, war ziemlich spannend. Es tat gut, sich mit dem Leben eines anderen zu beschäftigen.
Am Nachmittag wurden die Entzugserscheinungen wieder stärker, fast unerträglich. Am schlimmsten waren die Schmerzen. Man hatte mich schon auf das Restless Leg Syndrom vorbereitet. Man hat unkontrollierbare nervöse Zuckungen in den Gliedmaßen, die das Sitzen fast unmöglich machen. Meine Beine krampften und schlugen aus, ohne dass ich es verhindern konnte. Bob bekam es mit der Angst zu tun. Er flüchtete in sichere Entfernung und bedachte mich mit schiefen Blicken. Aber er ließ mich nicht im Stich. Er blieb in meiner Nähe.
Die zweite Nacht war die Hölle. Fernsehen war unmöglich, weil das Licht und die Geräusche des Gerätes meine
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