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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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Kopfschmerzen verstärkten. Saß ich im Dunkeln, fing ich an zu halluzinieren. Es waren verrückte und angsteinflößende Gedanken. Meine Beine zuckten immer noch unkontrollierbar, und mir war abwechselnd heiß und kalt. Der Schweiß auf meinem Körper war entweder so kalt, dass ich fror, oder aber so heiß, dass ich glaubte, ich würde verbrennen. Es war grauenhaft.
    Mal war ich völlig benebelt, dann wieder klar. Irgendwann in diesen schrecklichen Stunden, als sich mein Körper mit allen Mitteln gegen meinen Verstand wehrte, habe ich begriffen, warum ein Drogenentzug für viele Leute so schwer ist. Man stößt körperlich und mental an seine Grenzen. Es ist ein ziemlich einseitiger Kampf, denn der Körper wehrt sich durch vehemente Schmerzen. Das macht ihn viel stärker als den Verstand, der dich einfach nur von den Drogen fernhalten will.
    An einem anderen Punkt sah ich in aller Deutlichkeit zurück auf die letzten zehn Jahre meines Lebens und auf das, was die Drogen aus mir gemacht hatten. Ich spürte den Geruch der Gassen und Unterführungen, in denen ich als Obdachloser gelebt und geschlafen hatte. Sah all die Herbergen und Notunterkünfte vor mir, in denen ich um mein Leben gefürchtet hatte. Und ich erinnerte mich an all die schrecklichen Dinge, die ich getan hatte, nur um Geld für Stoff aufzutreiben, damit ich die nächsten zwölf Stunden überstehen konnte. Die Bilder waren schonungslos und gestochen scharf wie digitales Fernsehen in meinem Kopf. Plötzlich hatte ich eine Offenbarung, die mich zutiefst erschütterte: Es war nicht meine Mutter, es war die Sucht, die mein Leben zerstört hatte!
    Dann wieder durchzogen die verrücktesten Gedankenschwaden meinen benebelten Kopf: Ich fragte mich zum Beispiel, ob dieser Entzug bei Gedächtnisschwund schmerzlos wäre. Dann wüsste ich ja nicht, was mir fehlte. Aber der Grund für meine Probleme war ja mein Körper, der leider nur zu genau wusste, was ihm fehlte, und der auch wusste, was ich dagegen tun könnte.
    Ich kann nicht verhehlen, dass ich auch schwache Momente hatte, in denen ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mir sofort einen Schuss zu setzen. Zum Glück war mein Wille stark genug, diesen Gedanken jedes Mal sofort zu eliminieren. Dies war meine letzte Chance, die Sucht zu besiegen. Ich musste stark bleiben, und ich musste das Aufbäumen meines Körpers aushalten: den Durchfall, die Krämpfe, die Kotzanfälle, die Kopfschmerzen und das Fieber. Augen zu und durch.
    Die zweite Nacht wollte nicht enden. Immer wieder sah ich auf die Uhr. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Zeiger würden rückwärts laufen. Die Dunkelheit der Nacht vor meinem Fenster wurde immer schwärzer und undurchdringlicher; sie wollte einfach nicht der Morgendämmerung weichen. Die Zeit verging unerträglich langsam.
    Sogar meine Geheimwaffe Bob schaffte es, mich zu verärgern. Irgendwann lag ich ganz still und regungslos auf meinem Bett und versuchte, mich mental auszuklinken. Plötzlich spürte ich, wie Bob seine Krallen schmerzhaft in mein Bein grub.
    »Verdammt, Bob, was machst du da?«, schrie ich ihn entnervt an. Erschrocken sprang Bob zurück, und mir tat es sofort leid, ihm gegenüber so laut geworden zu sein. Er hatte sich bestimmt nur Sorgen gemacht, weil ich so regungslos dalag. Er wollte nur wissen, ob ich noch lebte.
    Endlich zeichnete sich mit verschwommenem Grau vor meinem Fenster das Ende dieser unendlichen Nacht ab. Ich quälte mich aus dem Bett und sah auf die Uhr. Es war fast acht Uhr. Die Drogenambulanz öffnete um neun. Ich hielt es nicht länger aus.
    Im Bad schaufelte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Es hatte nicht den gewünschten Effekt auf der schweißnassen Haut. Der Spiegel zeigte mir ein schmerzverzerrtes Gesicht, und auch meine Haare waren verschwitzt und zerwühlt. Es kümmerte mich keinen Deut. Ich konnte nur noch an meinen Termin denken. Ich warf mich in die nächstbesten Klamotten, die mir unterkamen, und rannte fast zum Bus.
    Die Busfahrt von Tottenham nach Camden war um diese Zeit immer eine Geduldsprobe. Aber so schlimm wie heute war es noch nie gewesen. Jede Ampel war rot, auf jeder Straße war Stau. Es war die Hölle.
    Ich hatte immer noch diese extremen Temperaturschwankungen, die mich von einer Minute auf die andere entweder vor Kälte zittern oder vor Hitze schwitzen ließen. Zwischendurch zuckten meine Arme oder Beine unkontrolliert, wenn auch nicht so schlimm wie in der vergangenen Nacht. Die Leute starrten mich an wie einen

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