Bob, der Streuner
zurückschreckten. Kein Job war es wert, Bob in Gefahr zu bringen. Es war Zeit, in einen anderen Stadtteil zu wechseln. Am besten wäre eine Gegend mit weniger Konkurrenz, in der wir auch weniger bekannt waren. Ich hatte da schon so eine Idee.
Bevor ich Covent Garden entdeckte, hatte ich als Straßenmusiker einen Platz in der Nähe der Angel Station in Islington. Ein guter Stadtteil, weniger lukrativ als Covent Garden, aber immer noch lohnend.
Gleich am nächsten Tag besuchte ich Lee, den Bezirksleiter für Islington. Wir kannten uns flüchtig.
»Gibt es eine Chance, hier einen guten Verkaufsplatz zu kriegen?«, fragte ich ihn.
»Na ja«, überlegte er laut, »die Camden Passage ist schon überbelegt und Green auch. Aber du könntest dich vor die U-Bahn-Station setzen. Der Platz ist nicht sehr beliebt.«
Es war ein Déjà-vu-Erlebnis. Genau wie in Covent Garden. Alle Big-Issue -Verkäufer mieden die U-Bahn-Stationen. Sie waren der Meinung, dass man dort keine Zeitungen loswürde, weil es die Fahrgäste immer viel zu eilig hatten. Keine Zeit, über einen Kauf nachzudenken und Geld hervorzukramen. Alle potenziellen Kunden waren unter Zeitdruck.
Aber genau wie in Covent Garden wirkte Bobs magische Ausstrahlung auch hier. Sobald die Leute ihn entdeckten, hatten sie es plötzlich gar nicht mehr eilig. Es war, als bewirkte sein Anblick sofortigen Stressabbau. Bob brachte es innerhalb von Sekunden fertig, ihr hektisches, einsames Leben mit etwas Wärme und Zuneigung aufzuhellen. Ich glaube, viele dieser Leute kauften mir eine Big Issue als Dankeschön für diesen magischen Moment mit Bob ab. Und so nahm ich den »schwierigen Verkaufsplatz« mit Kusshand.
Wir fingen gleich am nächsten Tag an. Die Covent-Garden-Verkäufer konnten uns gestohlen bleiben.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Passanten stehen blieben, um Bob zu bewundern. Wir machten genau da weiter, wo wir in Covent Garden aufgehört hatten. Manchmal trafen wir auch alte Bekannte. Wie die gut gekleidete Dame im Kostüm. Sie blieb abrupt vor uns stehen, als sie uns eines Abends sah, und rief verwundert aus: »Arbeitet ihr beiden nicht in Covent Garden?«
»Nein, Madam, nicht mehr!«
16
Herzlich aufgenommen
B ob war sehr angetan von unserem Wechsel zur Angel Station. Sein Verhalten, wenn wir morgens zu unserem neuen Stammplatz marschierten, sprach Bände.
Wenn wir in Islington Green aus dem Bus stiegen, wollte er nicht auf meine Schulter, wie das in Covent Garden immer der Fall gewesen war. Fast jeden Morgen lief er an der Leine erwartungsvoll vor mir her. Vorbei an der Camden-Einkaufspassage und all den Antiquitätenläden, Cafés, Pubs und Restaurants in Richtung Islington High Street bis zu dem großen, asphaltierten Platz vor dem Eingang der U-Bahn-Station.
Manchmal, wenn ich etwas am Verteilerstand auf der Nordseite von Green zu erledigen hatte, nahmen wir einen anderen Weg. Dann durfte er einen Abstecher in den kleinen Park im Herzen von Green machen. Es machte mir nichts aus, auf ihn zu warten, während er sich durch das hohe Gras schnüffelte. Wahrscheinlich suchte er nach Nagetieren, Vögeln oder sonstigen arglosen Kleintieren, an denen er seinen Raubtierinstinkt austoben wollte. Bisher war er zwar noch nicht fündig geworden, aber das tat seinem Eifer keinen Abbruch. Er steckte seinen Kopf in jeden nur möglichen Schlupfwinkel und jedes Versteck.
Unser neuer Stammplatz, der jetzt schon Bobs Lieblingsplatz war, lag genau zwischen dem Blumenstand und dem Zeitungskiosk. Ganz in der Nähe der Bänke, die vor dem Eingang zur Angel Station standen. Sobald wir dort ankamen, blieb er stehen und sah mir bei unserem Ankunftsritual zu: Ich legte den Rucksack auf den Boden und eine aktuelle Ausgabe der Big Issue davor auf den Bürgersteig. Erst wenn alles auf seinem Platz war, setzte er sich dazu. Dann begann er mit einer gründlichen Katzenwäsche, um unseren Arbeitstag sauber und gut gelaunt zu beginnen.
Mir ging es ähnlich wie Bob: Ich fühlte mich ebenfalls sehr wohl an unserem neuen Standort. Nach all dem Ärger, den ich über die Jahre in Covent Garden gehabt hatte, war Islington Green wie ein ruhiger Hafen nach einer sturmgepeitschten Seereise. Es fühlte sich an wie der Beginn eines neuen Lebensabschnittes – diesmal hoffentlich ohne Rückschläge.
Die Angel Station war in vielerlei Hinsicht ganz anders als Covent Garden und die Straßen rund um das Westend. Im Zentrum von London waren tagsüber immer Horden von Touristen unterwegs und
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