Bob und wie er die Welt sieht
gekannt haben.«
Wer weiß, wie viele von unseren damaligen obdachlosen Weggefährten durch Kälte, Drogen oder Gewalt umgekommen sind.
Für Billie war diese Nachtwanderung sehr wichtig.
»Die Leute werden eine Ahnung davon bekommen, was wir mitgemacht haben«, schwärmte sie. »Heute Nacht können sie nicht nach Hause ins warme Bett, heute Nacht müssen sie mit uns hier draußen durchhalten.«
Ich hatte da meine Zweifel. Niemand, egal wie mitfühlend, kann nachvollziehen, wie es war, auf der Straße zu leben.
Auch Billie hatte jetzt einen tierischen Freund. Eine lebhafte Border-Collie-Dame namens Solo. Sie und Bob beäugten sich zuerst etwas misstrauisch, beschlossen aber schnell, dass der andere ungefährlich war.
Kurz vor 22.30 Uhr kam John Bird an, der Gründer der Big Issue . Ich hatte ihn schon mehrmals getroffen. Er war ein sehr charismatischer Mann.
Er hielt eine flammende Rede über die Idee der Big Issue , die Hilfe zur Selbsthilfe, und brachte anschauliche Beispiele von allem, was das Magazin in den achtzehn Jahren bewegt und erreicht hatte. In der Zwischenzeit hatten sich über hundert Menschen und ein paar Dutzend Verkäufer, Vertriebsleiter und Angestellte eingefunden. Zusammen begaben wir uns hinaus auf die Straße und warteten auf den Startschuss von John Bird.
»Drei, zwei, eins«, brüllte er, und die Menschenmenge setzte sich in Bewegung.
»Los geht’s, Bob«, ermunterte ich meinen Kater und vergewisserte mich, dass er es auf meiner Schulter bequem hatte.
Es war eine Reise ins Ungewisse für mich. Ich hatte wirklich Angst, dass mein Bein die dreißig Kilometer nicht durchhalten würde. Andererseits war ich sehr glücklich, ganz normal ohne meine Krücken dahinlaufen zu können. Es war so schön, mich ohne »klonk, klonk« fortbewegen zu können und ohne dass mein Bein unkontrollierbar herumschlenkerte. Die erste Etappe führte uns durch die South Bank, das Flussufergebiet im Herzen der Innenstadt von London, dann über die Millenium Bridge. Ich hatte mir vorgenommen, diese Wanderung einfach zu genießen.
Bob zog wie immer viel Aufmerksamkeit auf sich. Die Stimmung war ausgelassen, und viele Spendensammler fotografierten uns im Gehen, obwohl Bob schlecht gelaunt war. Normalerweise ist er um diese Zeit schon längst im kuschelig warmen Bettchen. Auf meiner Schulter dagegen, ganz ohne Bewegung, spürte er die Kälte, die von der Themse aufstieg, noch stärker als wir Fußgänger. Aber ich hatte vorgesorgt. Meine Manteltasche war gut bestückt mit Katzensnacks, und in meinem Rucksack hatte ich eine Schüssel sowie ausreichend Wasser für ihn. Die Organisatoren hatten mir sogar versprochen, dass es an den Etappenzielen extra für Bob Milch geben würde. Wir tun heute Nacht unser Bestes und sehen, wie weit wir kommen, sagte ich mir.
Als wir an der Themse entlangliefen, waren Bob und ich in einer Gruppe mitten in der Menge gelandet. Es war ein fröhlicher Haufen aus Studenten, Spendensammlern und ein paar älteren Frauen. Das waren echte Menschen mit sozialer Einstellung. Eine Frau fing an, mir die üblichen Fragen zu stellen: »Woher kommst du?« – »Was ist passiert, dass du auf der Straße gelandet bist?«
Ich habe diese Geschichte in den letzten zehn Jahren bestimmt hundert Mal erzählt. Wie ich mit achtzehn von Australien nach London kam. Ich wurde zwar in London geboren, aber meine Mutter nahm mich nach der Trennung von meinem Vater mit nach Australien. Wir sind dort sehr oft umgezogen, und irgendwann habe ich rebelliert. Eigentlich wollte ich in London ein erfolgreicher Musiker werden, aber das hat leider nicht geklappt. Anfangs wohnte ich bei meiner Stiefschwester, aber ihr Mann hat mich bald rausgeworfen. Zuerst konnte ich noch auf der Couch von diversen Freunden übernachten, aber irgendwann gingen mir die Freunde aus, und übrig blieb die Straße. Von da an ging es nur noch bergab. Ich habe Drogen schon in Australien ausprobiert, aber in meiner Zeit als Obdachloser wurden sie Teil meines Lebens. Nur so konnte ich die totale Isolation von der Gesellschaft ertragen und die Gewissheit, mein Leben total verpfuscht zu haben. Wenn du auf Heroin bist, gibt es keine Probleme.
Während ich so erzählte, gingen wir an einem Gebäude in der Nähe der Waterloo Bridge vorbei. Dort habe ich ein paarmal übernachtet. Ich machte meine Gesprächspartnerin darauf aufmerksam und erzählte ihr, dass ich ein gelegentlich in dieser Toreinfahrt übernachtet hätte. »Aber nicht oft. Eines Nachts
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