Bob und wie er die Welt sieht
öffnete, sprang er an Bord und auf den nächsten freien Fensterplatz. Wenn ich könnte, hätte ich mit ihm um die Wette geschnurrt, so sehr haben wir uns gefreut, endlich im Warmen zu sein.
Der Bus war ganz schön voll, wenn man bedenkt, dass es bereits nach drei Uhr morgens war. Wir waren umgeben von einer Truppe von Club-Gängern, die noch ganz aufgekratzt waren von ihrem schönen Abend. Aber es gab auch ein paar einsame Gestalten im Bus, die aussahen, als wären sie auf dem Weg nach Nirgendwo. Diese Art von Nachtfahrten kannte ich nur zu gut. Ich wusste genau, wie diese Leute sich fühlten.
Aber das war zum Glück vorbei. Heute Nacht fühlte ich mich gut. Ich war zufrieden mit mir. Für viele Menschen ist ein 20-Kilometer-Marsch nichts Besonderes, aber wenn man bedenkt, dass ich eine Woche zuvor noch im Krankenhaus lag, dann hatte ich allen Grund, stolz auf mich zu sein. Für mich war diese Nachtwanderung genauso ein Erfolgserlebnis wie für andere der London Marathon.
Außerdem hatte ich alte Bekannte wieder getroffen, allen voran Billie. Ich habe mich so gefreut, sie zu sehen und zu hören, dass es ihr gut ging. Auf jeden Fall war es ein gutes Gefühl, etwas zurückgegeben zu haben. Ich habe so viele Jahre Almosen in Anspruch genommen, weil ich mittellos war. Oder zumindest war ich der Meinung gewesen, dass ich nichts zu geben hatte. Der heutige Abend hatte mir gezeigt, dass ich die ganze Zeit falsch lag. Jeder kann etwas beitragen, auch wenn es ihm noch so unbedeutend erscheint. An diesem Abend hatte ich nur persönliche Erfahrungen weitergegeben, aber ich hatte das Gefühl, dass ich einige Menschen damit erreicht hatte. Vielleicht konnte ich dem einen oder anderen tatsächlich die Augen öffnen über das wahre Leben auf der Straße. Das war nicht von der Hand zu weisen. Meine Erfahrungen waren etwas wert. Und so fing ich langsam an zu begreifen, dass auch ich ein wertvoller Mensch war.
10
Zwei Welten
I ch zog den Vorhang vom Schlafzimmerfenster zurück und schaute über die Dächer Nordlondons. Offenbar hatte der Wintereinbruch, den der Wetterbericht vorhergesagt hatte, seine Reise aus Sibirien oder irgendeiner anderen frostigen Einöde beendet und war bei uns angekommen.
Dicke eisengraue Wolkenbänke hingen tief über den Dächern, und der Wind stürmte und pfiff um die Häuser. Wenn es je einen Tag gab, an dem man besser warm eingekuschelt auf der Couch zu Hause bleiben sollte, dann war das heute. Leider konnte ich mir diesen Luxus nicht leisten.
Das Geld war gerade mal wieder extrem knapp. Gas- und Elektrizitätsuhr mussten aufgefüllt werden, denn die Wohnung war schon eiskalt. Bob hatte sich bei der Kälte angewöhnt, auf meiner Bettdecke zu liegen, um etwas von der Wärme abzukriegen, die ich darunter produzierte. Es führte kein Weg daran vorbei, ich musste auch heute die Big Issue verkaufen. Einen freien Tag konnte ich mir leider überhaupt nicht leisten, auch wenn das Wetter so abschreckend war wie heute.
Als ich meinen Rucksack packte, blieb nur die Frage offen, ob Bob heute mitkam oder nicht. Es war, wie immer, seine Entscheidung, und er hat sich noch nie geirrt.
Katzen sind – wie viele andere Tiere – sehr gut in ihren Vorhersagen von Wetter und anderen Naturereignissen. Angeblich können sie beispielsweise auch Erdbeben und Tsunamis schon viel früher spüren als wir Menschen. Die glaubhafteste Erklärung sagt, dass Tiere sehr empfindsam gegenüber Luftdruck sind. Daraus ergibt sich, dass sie die Luftveränderungen bei einer anrollenden Schlechtwetterfront spüren können. Bob konnte jedenfalls den von ihm so sehr verhassten Regen im Voraus fühlen. Er hasste nichts mehr, als nass zu werden. Anfangs habe ich ihn noch für verrückt erklärt, wenn er sich bei bestem Wetter manchmal verkroch und nicht mitkommen wollte. Aber er hatte immer recht behalten. Spätestens zwei Stunden, nachdem ich allein losgezogen war, goss es in Strömen.
Als ich ihm an diesem Tag Leine und Schal hinhielt, kam er freudig angelaufen. Ich konnte also davon ausgehen, dass ihm sein Wettervorhersage-Instinkt mitgeteilt hatte, dass er ohne böse Überraschungen mitkommen konnte.
»Bist du ganz sicher, Bob?«, fragte ich nach. »Ich gehe auch gern alleine los.«
Sicherheitshalber wählte ich aus seiner Sammlung den dicksten und wärmsten Schal für ihn aus, bevor wir uns in die graue Kälte stürzten.
Sobald ich aus der Haustür trat, fuhr mir der Wind durch die Kleidung, dass ich mich krümmte. Bobs Körper
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