Bob und wie er die Welt sieht
läuft.«
Für den Rest des Tages war Bob ein Nervenbündel. Seine Angst, noch einer Schlange zu begegnen, war so groß, dass er sogar die Gurte an meinem Rucksack attackierte. Dabei saß er seit Jahren auf diesem Ding, und die herabhängenden Teile hatten ihn noch nie gestört. Aber plötzlich war alles, was auch nur im Entferntesten der gelben Python glich, ein Feind. Immer wieder schnappte er mit den Zähnen nach den Gurten und warf sie hoch, als wollte er testen, ob sie tot oder lebendig waren.
Es dauerte tatsächlich ein paar Tage, bis Bob den Zwischenfall mit der Schlange verdaut hatte. Er begegnete jedem, der auf der Straße oder sonst irgendwo auf uns zukam, sehr zurückhaltend. Misstrauisch beäugte er jede Schulter, um sicherzustellen, dass sich da bloß kein Ungeheuer versteckte. Die Begegnung mit der Schlange hat ihn total verunsichert. All die Jahre war er das einzige Tier gewesen, das sich auf den Schultern seines Menschen drapierte und so durch die Straßen getragen wurde. Das unheimliche Zischen hat ihm den Rest gegeben.
Aber solche Abenteuer gehören in der verrückten Welt von Covent Garden einfach dazu.
Nicht jeder Kollege auf der Straße war so verständnisvoll wie der Schlangenbeschwörer. Die Konkurrenz war groß, und ohne Ellbogentechnik war ein Überleben kaum möglich, denn jeder war sich selbst der Nächste.
Eines Tages tauchte ein junger Kerl mit Mikrofon und Verstärker auf, als Bob und ich gemütlich auf der Neal Street abhingen. Er war wie ein Skater gekleidet, trug Nike-Schuhe und Baseballkappe. Ich beobachtete ihn beim Aufbauen seiner Technik und wartete auf das dazugehörige Instrument, aber er hatte keines. Nur das Mikrofon.
Ich wandte mich ab und konzentrierte mich wieder auf meine Musik.
Aber lange konnte ich ihn nicht ignorieren. Schon ein paar Minuten später donnerte ohrenbetäubender Lärm in Form eines sich ständig wiederholenden Rhythmus’ zu uns herüber. Der Bursche war mit seinem fest an die Lippen gepressten Mikrofon eine lebendige Beatbox. Ich liebe so gut wie jede Musikrichtung, aber das war nichts für mich. Mit Musik hatte das für mich nicht mehr viel zu tun. Das war Lärmbelästigung.
Bob war ganz meiner Meinung. Vielleicht mag er die akustische Gitarre, weil er mich damit schon so lange spielen hört. Auch mit etwas härterer Rockmusik kommt er klar. Zu dieser Musik jedoch hatte er eine klare Meinung. Als ich zu ihm hinuntersah, hatte er die Ohren angelegt, und in seinen Augen spiegelte sich der blanke Horror, während er den Beatboxer beobachtete.
Es gibt immer wieder Situationen, in denen ich mich von Bob beeinflussen lasse. Dies war eine davon.
Er stand auf, sah mich mit schief gelegtem Kopf an und gab mir deutlich zu verstehen, dass wir sofort verschwinden sollten. Ich packte unser Zeug zusammen und wir suchten uns einen neuen Platz, weit weg von dem Lärm, wo ich weiterspielen konnte. Der blecherne Sound war immer noch zu hören, aber zumindest konnte ich wieder klar denken.
Aber leider war die Sache damit noch nicht ausgestanden.
Die penetrante Geräuschkulisse störte wohl noch andere Leute, denn es dauerte nicht lange, bis ein Polizeibus vorfuhr. Aus der Entfernung beobachtete ich, wie zwei Polizisten ausstiegen und auf den Jungen zugingen. Er protestierte mit großen Gesten, aber es half ihm gar nichts. Kurz nach Ankunft der Polizei zog er sein Mikro aus dem Verstärker und packte zusammen.
In der wieder eingekehrten Stille konnte man die Seufzer der Erleichterung aus den umliegenden Büros, Cafés und Restaurants deutlich hören.
»Gott sei Dank, dass das vorbei ist, nicht wahr Bob?«
Aber meine Freude dauerte nicht allzu lange. Die Polizisten hatten Bob und mich auf dem Gehweg erspäht und nahmen uns als Nächste ins Visier.
»Sie haben keine Lizenz, um hier zu spielen, oder?«, sprach mich einer der beiden an.
Ich hätte mich mit ihnen anlegen und antworten können, dass wir ein gewisses Recht dazu hatten. Aber ich wollte keinen Streit. Mich wieder auf Covent Garden und all seine speziellen Regeln einzulassen war schwer genug, da wollte ich es mir nicht gleich mit der Polizei verderben. Wähle deine Schlachten mit Bedacht, ermahnte ich mich. Es war eine weise Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte.
Ein paar Tage später waren wir kurz nach zwölf Uhr mittags auf der Neal Street angekommen. Die Straße füllte sich mit Touristen und kauflustigen Einheimischen. Bob und ich waren heute früh dran, weil zum ersten Mal seit
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